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schon im Früheren bekannt wurden, eine Zcitlang über Frankreich 
herrschen und den Thronerben bis zu dessen Volljährigkeit erziehen 
können, so würde wohl nie eine Revolution in Frankreich statt¬ 
gefunden haben. Dem jungen Könige fehlte es nicht an guten 
Anlagen, aber er ward in der Erziehung absichtlich vernachlässigt. 
Seine Gouvernante, die Herzogin von Vcntadour, suchte nur 
so nebenbei seinen moralischen Charakter zu bilden, das heißt, ihm 
ungefähr die Maximen beizubringcn, die sie für einen künftigen 
Monarchen anständig fand. So, um nur einige Beispiele anzu¬ 
führen, äußerte das königliche Kind eines Abends bei der Tafel 
ein besonderes Wohlgefallen an neuen goldenen Armleuchtern, 
und die Herzogin bestrafte die kindische Aeußerung mit den Wor¬ 
ten: „Für Ew. Majestät muß von Sachen dieser Art nichts 
neu seyn!" Ein andermal ließ Ludwig beim Spielen einen 
Louisd'or fallen und wollte ihn, wie billig, aufhcbcn; sie hin¬ 
derte ihn aber daran und meinte, daß ein Goldstück, welches 
einmal aus seinen Händen wäre, ihm nicht mehr gehöre. Dabei 
unterließen die Hofleute nicht, ihm -täglich Schmeicheleien zu 
sagen, feine Einfälle zu loben, seine Neckereien zu ertragen; 
selbst der Regent bewies dem Kinde die tiefste Ehrerbietung. 
Dadurch gewöhnte sich der kleine Prinz schon sehr früh, den 
Leuten unangenehme Wahrheiten in's Gesicht zu sagen. So 
stellte man ihm einst den Bischof von Metz, Eoislin, vor, 
der keine vörtheilhafte Gesichtsbildung hatte. ,,O, mein Gott! 
— rief das Kind — wie häßlich ist der Mann!" Aber der 
Prälat war kein gewöhnlicher Höfling. Er drehte sich um und 
sagte ganz laut: ,,Das ist ja ein kleiner ungezogener Junge." — 
Im Februar 1717 ging der junge König, nach herkömmlichem 
Gebrauche, aus den Händen der Frauenzimmer unter die Auf¬ 
sicht der Männer über. Der Marschall von Villeroi war 
schon von Ludwig XIV. zu seinem Gouverneur ernannt, und der 
Bischof von Frcjus, Fleury, ward sein Lehrer. Aber die 
Folge hat bewiesen, daß er, was seine künftige Bestimmung 
zum Regenten betraf, unter den Männern nicht viel besser daran 
war, als unter den Frauen. Hier nur ein Beispiel vom Mar¬ 
schall, das einen tiefen Blick in die moralische Bildung des Zög¬ 
lings verräth. Bei einer Prozession, wo sich eine Menge Vor¬ 
nehmer des Volks versammelt hatten, führte er den jungen 
König immer von einem Fenster des Palastes zum andern und 
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