Object: Für die Unterstufe der Lehrerseminare (Band 2, [Schülerband])

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Ward ich geführt zum Felsen Gib'chenstein. 
In jener Noth, in jener tiefen Schmach 
Blieb einzig nur Graf Werner mir getreu, 
Der meiner Jugend Freund und Führer 
war. 
Auf Kiburg warf er sich, sein festes Schloß, 
Und wurde dort von Euch, erhabner Herr, 
Drei Monden lang belagert und bedrängt. 
Als man zuletzt die gute Feste brach, 
Entkam er selber mit genauer Noth 
Und irrt seitdem geächtet durch die Lande. 
Sollt' ich nun den verleugnen, der so fest 
An mir gehalten? Nein!verlangt es nicht! 
Kunrad. 
Du bist in großer Täuschung, wenn du 
meinst, 
Daß Werner das um deinetwillen that. 
Du warst nur stets das Werkzeug seiner 
stolzen, 
100 Gefährlichen Entwürfe. 
Ernst. 
Ja! ich weiß, 
Mit großen Dingen trägt sich dieser Mann, 
Doch nicht mit strafbar'n, noch gefähr— 
lichen. 
Was er für mich, was ich für ihn gethan, 
Es war ein Bund der Redlichkeit und Treu'. 
Kunrad. 
105 Je eifriger du sprichst, je klarer wird's, 
Wie eng der Meutrer dich umgarnet hat, 
Und um so weniger darf dir der Schwur, 
Den wir von dir begehrt, erlassen sein. 
Ernst. 
Die Treue sei des deutschen Volkes Ruhm, 
110 So hört' ich sagen, und ich glaub' es fest, 
Trotz allem, was ich Bitteres erfuhr. 
Ihr selbst, o Kaiser, höchstes Haupt des 
Volkes, 
Das man um Treue rühmet, habt noch 
jüngst, 
Was von Verrath Ihr denkt, so schön 
bewährt: 
115 Als Misiko, der junge Polenfürst, 
Gedrängt von Eurer Waffen Ungestüm, 
Zu Odelrich, dem Böhmenherzog, floh, 
Und dieser, um den Zorn, den Ihr ihm 
tragt, 
Zu sühnen, Euch den Flüchtling anerbot, 
.20 Da wandtet Ihr Euch mit Verachtung ab. 
Was Ihr vom Feind, vom Fremdlinge 
verschmäht, 
Könnt Ihr's verlangen von dem eignen 
Sohn? 
Vom deutschen Fürsten? Nein! Ihr könnt 
es nicht. 
Kunrad. 
Vom Sohne heisch' ich, daß er nicht dem 
Feind, 
125 Dem bittersten, des Vaters sich geselle; 
Vom deutschen Fürsten, daß er nimmer⸗ 
mehr 
Die Friedensstörer heg' in seinem Land 
Was ich verlang', ist dir zwiefache Pflicht, 
Und sehr mit Unrecht nennst du es Verrath 
Ernst. 
130 Nennt's, wie Ihr wollt, doch ist es 
Treue nicht, 
Es ist nicht Freundschaft, ist nicht Dank 
barkeit, 
Nichts, was begeistern könnt' ein edleb 
Herz. 
Kunrad. 
Noch einmal frag' ich: Schwörest du den 
Eid, 
Den wir bedungen, oder schwörst du nicht? 
135 Antworte nicht zu rasch, erwäg es reiflich! 
Es handelt sich nicht bloß ums Herzogthum 
Nicht bloß um fernere Gefangenschaft; 
Des Kerkers bist du ledig; aber was 
Ich mühsam abgelenkt von deinem Haupt 
140 Damals, da man zu Ulm dich richtete, 
Jetzt hängt es unabwendbar über dir: 
Die Acht des Reiches und der Kirche Bann 
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Gisela. 
Erbarmen meinem Sohne! 
Kunrad. 
Muß ich dich 
Des Schwurs erinnern, Gisela? 
Bischof Warmann. 
Mein Fürst! 
145 Vernehmet, was die Kirche zu Euch spricht: 
Als ihr Euch ungehorsam, undankbar 
Erhobet gegen Euren Herrn und Vater, 
Damals habt Ihr, vom bösen Geist 
gespornt, 
Selbst nicht geweihtes Eigenthum ver— 
schont; 
150 Der heil' ge Gallus und das fromme Stift 
Von Reichenau erseufzten Eurem Drang 
Schon war der Bannstrahl über Euch ge— 
ickf
	        
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