Vilmar: Siegfried und Kriemhild.
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erfährt, daß ich ihn erschlagen habe: Sie hat Brunhild so schwer gekränkt,
nun acht' ich es geringe, sie mag weinen, so viel sie will."
6.
Und der entsetzliche Hagen ließ den Toten, sowie man in der Nacht
zu Worms angekommen war, vor die Tür des Hauses legen, in dem
Kriemhild wohnte, wohl wissend, daß sie selbst gleich am frühen Morgen,
wenn sie ihrer Gewohnheit nach zur Mesie ging, ihn da finden werde.
Furchtbar gelang die Freveltat. Ein Kämmerer ging mit dem Lichte
voran und sah den Leichnam. „Frau," sagte er, „stehet stille, da liegt
vor dem Gaden ein erschlagener Ritter." Ein lauter Schrei des Ent¬
setzens war Kriemhilds Antwort; sie wußte, wer da erschlagen lag, ohne
daß man es ihr gesagt hatte, und als sie den Erschlagenen sah, so tief
er vom Blute übergössen war, — sie kannte wohl auch im bleichen Fackel¬
schein die Heldengestalt und die edlen, im Tode erstarrten Züge. „Du
bist ermordet!" rief sie, „dein Schild ist nicht zerhauen! Dem gilt es
den Tod, der das getan." Siegfrieds Mannen und Siegfrieds Vater
wurden geweckt; lauter Jammer erfüllte weit und breit die Säle und
Höfe, und zur Rache scharten sich die Getreuen des erschlagenen Helden,
— kaum daß Kriemhild warnen und abwehren konnte: es sei jetzt noch
nicht Zeit zur Rache, — dereinst werde sie kommen. Als der Tote auf
der Bahre lag, kamen die Könige, ihre Brüder und die Verwandten;
auch Hagen trat ohne Scheu hinzu. Kriemhild aber wartete an der
Bahre des Bahrrechts, — treu der alten Volkssitte und dem noch heute
nicht ausgestorbenen Volksglauben, daß die Wunden sich öffnen und das
Blut von neuem fließe, wenn der Mörder dem Gemordeten nahe trete
oder gar dessen Leichnam berühre, — und als Günther ihr eben einzu¬
reden suchte, frembe Mörder hätten ihn erschlagen, da trat Hagen heran,
und die Wunden flössen. „Ich kenne die Räuber wohl," rief die Arme,
„und Gott wird die Tat an ihnen rächen." Der Leichnam ward ein¬
gesargt und ward zu Grabe getragen; Kriemhild folgte, mit unnennbarem
Jammer bis zum Tode ringend. Noch einmal aber begehrte sie, das
schöne Haupt des Geliebten zu sehen, und der köstliche Sarg, aus Gold
unb Silber geschmiedet, ward aufgebrochen. Da führte man sie herbei,
und mit ihrer weißen Hand hob sie noch einmal das Heldenhaupt empor
und drückte einen Kuß auf die bleichen Lippen. Man trug sie von dannen.
Der edle Held wurde begraben.
An die Stätte, wo ihre Liebe begonnen, wo sie in grimmem Leide
geendet hatte, war Kriemhild gefesselt. Siegmund zog mit seinen Mannen
zurück in die Heimat, um für den Enkel des Reiches zu pflegen, Kriem¬
hild blieb in Worms; die Herrschaft im Niederland, das Königreich
der Nibelungen mit seinen Schätzen hatte für sie nur Wert gehabt durch