Full text: Geschichte der Reformation

55. Des Sängers Flilch. 
93 
Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, 
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll; 
Dann strömte himmlisch Helle des Jünglings Stimme vor, 
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor. 
Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit, 
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit; 
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, 
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. 
Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott; 
Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott; 
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust, 
Sie wirft den Sängern nieder die Rofe von ihrer Brust. 
„Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?" 
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib; 
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt, 
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt. 
Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm. 
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm; 
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß, 
Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. 
Doch vor dem hohen Tore, da hält der Süngergreis, 
Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis; 
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt, 
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt: 
„Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang 
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang! 
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, 
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt! 
Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht! 
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht, 
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt, 
Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt. 
Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des Süugertums! 
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'geu Ruhms, 
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht, 
Sei wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.