Full text: Geschichte des deutschen Volkes und des deutschen Landes

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Bösewicht genannt und ausgeliefert, wenn er den Landgrafen nicht selbst für den 
Erdachter des Ganzen halten solle. Aehnlichcs antworteten auch alle andere ange» 
schuldigte Fürsten, und so mußte Philipp Pack versagen, den endlich in den Nieder¬ 
landen zu Vilvördcn Georg von Sachsen aufgreisen und hinrichten ließ. Philipp 
nahm 100,000 fl. von den geistlichen Fürsten von Mainz, Wirzburg und Bamberg 
und stellte seinen Kriegszug ein *). 
In dieser Spannung kam man auf dem Reichstage zu Spcier Februar 1529 
zusammen, wo inan durch Stimmenmehrheit — als könne diese über Sachen des 
Gewissens und der Ucberzcugung jemals entscheiden! — einen den Anhängern der 
neuen Lehre und dieser selbst höchst nachtheiligen Schluß zuwege brachte: da ans 
dem vorigen Abschiede zu Spcier (den der Kaiser förmlich niedergeschlagen hatte) 
„trefflich großer Unrath und Mißverstand wider den heiligen Glauben und Unge¬ 
horsam gegen die Obrigkeit hervorgcgangen," so solle er aufgehoben sein; man 
solle sich bis zur Entscheidung eines allgemeinen Concils, um welches man den 
Kaiser bitten wolle, aller weiteren Aenderungen enthalten, die Messe nicht weiter 
abschaffen und Niemanden die Ucbung des alten Gottesdienstes verbieten. Die 
neue Lehre solle vorerst nur bleiben, wo sic nicht ohne Aufruhr abgeschafft werden 
könne. — Gegen solche Beschlüsse legten nun eine Anzahl Fürsten und Städte 
(Straßburg, Ulm, Conftanz, Lindau, Nürnberg, Reutlingen, Memmingen, Heil- 
dronn, Nördlingen u. a.) eine förmliche Protcstation ein (19. April 1529), von 
welcher Alle später den Namen Protestanten erhielten, und appellirten an den 
Kaiser, an das freie christliche Eoncilium und an die Nationalversammlung. 
Durch diesen Act stellte sich das Protestantische dem Römischen oder Papistischcn, 
keineswegs aber dem Katholischen gegenüber; von ihm, nicht von der wahren, 
christlichen, katholischen Kirche, worunter man die Frommen und Gottcsfürchtigen 
aller Kirchen und Länder verstand, wollte man sich geschieden haben: daher man 
auch bis ins 17. Jahrhundert hinein die Gegner des protestantischen Glaubens 
nicht Katholiken, sondern Papisten oder Päpstler nannte **). 
Wie ungnädig und drohend auch Karl diese Appellation in Italien aufnahm, 
so wenig war er für den Augenblick im Stande, seinen Zorn zur That werden zu 
lassen, eben so wenig, als die Anhänger der Reformation in dem im October 1529 
zu Marburg gehaltenen Religionsgespräch sich über den Abendmahlsstreit zu ver¬ 
einigen vermochten. Man trennte sich von den Anhängern Zwingli's, als müsse 
man im Augenblicke der Nothwchr sich erst die eine Hand abhaucn. Durch die 
auf einem Convente zu Schwabach aufgesetzten Religionsartikel hatte man schon 
Straßburg und Ulm zurückgestoßen; mit weinenden Augen hatte Zwingli Luthern 
zu Marburg (October 1529) gebeten, man wolle sich ungeachtet dieses Streit- 
punctes als Brüder ansehen und lieben; aber Luther erklärte: „Ihr habt einen 
andern Geist als wir!" So wurde Christi Liebcsmahl das Brod der Bitterkeit 
und der Kelch des Leidens auf Jahrhunderte! Eine Seuche, der englische Schweiß, 
sprengte die Disputatoren völlig auseinander. 
Während man sich um das Wörtchen „ist" und „bedeutet" in Marburg zankte, 
stand der fürchterliche Soliman seit 26. September 1529 vor den Mauern Wiens; 
die Zwistigkeiten in Ungarn, Böhmen und Deutschland waren seine Brücke, Zapolpa 
sein Führer gewesen. Kaum hatte man die Festungswerke nothdürftig ausgebessert. 
'') Luther glaubte auch an die Wahrheit des Bundes und rieth dach zur Mäßigung. Daß damals 
eine Achtssentenz gegen Hessen im Werke gewesen sei, kann eher auf den Katzenellnbagenschen 
Erbschaslsstreit zwischen Hessen und Nassau Bezug gehabt haben, als auf diesen Plan. 
**) Marheineke, A. d. deutschen Nefvrination, 2. Auflage, Berlin, 1831, II, 4>z.
	        
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