Full text: Geschichte des deutschen Volkes und des deutschen Landes

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eine viel segensreichere Pflanze gerade in dem Jahre und in dem Lande heimisch, 
wo man am wehmüthigften das große Friedenssest (1650) feiern mochte, weil man, 
ohnehin arm, auch um das Wenige gekommen war: im Vogtland — die Kartof¬ 
fel. Gewiß, dieß unscheinbare Knollengewächs ist seit dieser Zeit der Erhalter 
von mehrern Millionen Menschen geworden, und noch im Jahre 1816 hat in jenem 
genügsamen Ländchen diese Kartoffel mit Häringstunke Menschen, die zu Brod und 
Salz nicht Mittel schaffen konnten, das Leben gefristet. 
Die fürstlichen Vergnügungen bestanden gewöhnlich in den Freuden der Tafel, 
wo oft, das viele Einschenkcn zu umgehen, ein ungeheures Gefäß auf der Tafel 
stand, aus dem gleich jeder seinen Humpen schöpfen konnte. Einander niedcr- 
trinken galt noch für angethane Ehre. Solche Geister verdampfen zu lassen, ging's 
auf die Jagd, über welche von manchem hohen Jagdfreunde gewissenhaftere Tage¬ 
bücher gehalten wurden, als über den Staatshaushalt. Ja, die rechten „Wild¬ 
fürsten" theiltcn sich dieselben mit. Nach den Verzeichnissen, die von Jobann 
Georg I. von Sachsen vorliegen, kommen von 1611 — 1653 vor: 113,629 Stück 
erlegtes Wild, worunter 28,000 wilde Schweine, 208 Bären, 3543 Wölfe, 200 
Luchse, 18,957 Füchse u. s. w. waren. Was müssen diese Bestien allein dem Land- 
mannc für Schaden gethan haben!? — Und wehe dem, der unberufen sich als 
Hüter seines Feldes oder als Wilddieb an ihnen vergriff. Es sollen Wilddiebe auf 
Hirsche geschmiedet und so im Dickicht zerrissen worden fein, cs sind ihnen die 
Augen ausgestochen, die Stirne gcbrandmarkt, oder die Hände abgehaucn worden. 
Mancher Herr ruinirte sich durch seinen Jagdaufwand, wurde wie Aktäon von 
feinen Hunden (wenn nicht etwa die Unterthancn diese füttern mußten) aufge- 
fresscn. — Die eigentlichen Turniere waren abgekommen; aber ein Riugelrenncn, 
ein Türkenstechcn und Aehnliches oder eine tüchtige Löwen- oder Bären- und 
Wolfshatz oder ein Thierkampf kam noch fleißig vor. Bei dem Bürger galt's 
ein Armbrustschicßen (Stahlschießen, an dem der Landesvatcr gern auch feinen 
Antheil nahm), eine Zünfteprocession, wobei Hanswurst nicht fehlen durfte, einen 
Tanz und Aehnliches. Oft sprach sich der Humor des Volks auf seltene Weise 
aus. So trugen die Schlächter in Königsberg 1583 eine aus vielen zusammenge- 
nähten Därmen gemachte Wurst von 596 Ellen und 434 Pfund Gewicht auf höl¬ 
zernen Gabeln herum; ja, achtzehn Jahre später sah man eine von 1005 Ellen 
und 900 Pfund. Dieß begeisterte die Bäcker, die sic mit verschmausen halfen, aus 
12 Scheffeln Weizenmehl 12 große Stritzcln, jede 5 Ellen lang und 6 Riesen¬ 
bretzeln zu backen und mit den Fleischern zu verzehren. Später kamen in Nürnberg 
und Sachsen ähnliche eßbare Kolosse vor. Immer besser noch, als der Glückstopf 
der Leipziger Michaelismesse 1624, der 17,000 fl. Fond hatte, den aber die Stu¬ 
denten zerbrachen. — Zu den fürstlichen Ergötzlichkciten kam um diese Zeit die 
sehr kostspielige der Feuerwerke, besonders auf dem Wasser, wo man auch schwim¬ 
mende Sirenen und künstliche Wallsische mit Ncptunen auf dem Rücken sah. — 
Die fürstlichen Eapcllcn in München, Stuttgart und Wien (die Ferdinands II. 
zählte 78 Mann) verschönerten manches Kirchen - oder Palastfest. Das Ball- und 
Rackettspicl wurde in besondern Salons und Ballhäusern getrieben; von Karten¬ 
spielen war besonders das Karnöffelfpiel im 16. Jahrh. üblich; zu den Mummcn- 
fchänzen oder Maskeraden (sogar maskirte Schlittenfahrten 1585), ließ man sich 
aus den Niederlanden oder Italien Masken kommen. Schon gab es auch Ballet 
und Theater. Im Riesensaal des Dresdner Schlosses führten die Hoffräulein 
eine Zigeuncrmaskerade und 1655 ein Ballet „die Glückseligkeit" auf. Die Leipziger 
Studenten ehrten 1650 den Kurfürsten auf dem Markte mit einem ähnlichen Schau¬ 
spiele. Ans Handwerkern hatte sich 1648 in Freiberg eine Schauspielergildc zu- 
sammengcthan, die auch in Dresden spielte. Besonders waren Geistliche und
	        
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