Full text: Geschichte des deutschen Volkes und des deutschen Landes

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welche Frankreichs politische Kraft auf lange hin lähmte, und schwere Erfahrun¬ 
gen, die, wie so häufig, bei seinem Erben nur verlorne sein sollten. — Unterdeß 
hatte sich auch Deutschlands Gestalt und Interesse wesentlich in mehren seiner 
Hauptstaatcn geändert. Denn nicht nur der Kurfürst von Brandenburg trug jetzt 
eine Königskrone, sondern auch der Kurfürst Friedrich August von Sachsen hatte 
sich mit Aufopferung seines lutherischen Glaubensbekenntnisses und mancher Million 
die Königskrone von Polen zu verschaffen gewußt (1607) und brockte nun den Polen 
sein Sachsen ein. Der französische Prinz Conti zog bei der Wahl der Polen den 
Kürzeren. Das Directorium der protestantischen Angelegenheiten wurde vom Kur¬ 
fürsten vorläufig dem Herzoge der Seitenlinie Weißenfels übertragen. Ein wahres 
Glück, daß Braunschweig-Lüncburg die neunte Kurwürde bekonimcn hatte, sonst 
wäre gar kein lutherischer Kurfürst mehr im Collegium gewesen. Dem Pfalz- 
Zweibrücker Fürsten, auf dem schwedischen Throne seit 1654, folgte 1729 ein Fürst 
aus dem Hause Hessen-Kassel. Aber gerade der letzte jener Wittelsbacher in 
Schweden war der merkwürdigste von allen, der junge Karl XII., der seinem Vater 
Karl XI. schon 1697 löjährig folgte. Schlechte Erziehung und gewaltige Kraft 
geben Menschen, wie Karl XII. war! — Endlich gelangte 1714 auch das Haus 
Hannover nach Anna's Tode aus den britischen Thron, ohne dcßwegcn den Besitz 
des deutschen Kurlandes aufzugcben. Rechnet man nun Dänemark, in welchem 
gleichfalls und schon seit dem löten Jahrhundert ein deutsches Haus, Oldenburg, 
regierte, hinzu: so saßen in Dänemark, Norwegen, Schweden, in Preußen und 
Polen, in Ungarn, Siebenbürgen und Böhmen, in Neapel, Sardinien und Mai¬ 
land deutsche Fürsten auf den Fürstcnstühlen. Aber zunächst gaben die vier neucr- 
worbenen Kronen Preußen, Polen, Schweden und Großbritannien, deren Inhaber 
auch als deutsche Reichsfürstcn unter dem Kaiser standen, dem deutschen Reiche eine 
sonderbare Haltung und verflochten es in viele weitausschende Handel, von denen 
keiner wichtiger geworden, als der große nordische Krieg, welcher Schwedens 
Principal an der Ostsee und seinen überwiegenden Einfluß auf das osteuropäische 
Staatensystem vernichtete. Ging dieser Krieg auch nicht, wie der spanische, Deutsch¬ 
land unmittelbar an, so wurde er doch zum größten Thcil von deutschen Fürsten 
geführt und spielte auch eine Zeit lang in Deutschland, welches ja längst durch 
seine Lage, wie durch seine Familienverflechtungcn der große Markt europäischer 
Geschäfte im Krieg und Frieden geworden war, daher kein Land der Welt von die¬ 
sem Umfange so viele Schlachtfelder aufzuweiscn hat, als Deutschland — eine 
vollständige Charte derselben müßte dicß gut versinnlichen können. — Darum muß 
auch dieses Krieges, wenn gleich kürzer, hier Erwähnung geschehen. Waren doch 
drei der Kriegsfürsten in diesem Kriege deutsche Reichsstände. Daß dieß Prädicat 
indeß vor wechselseitiger Anfeindung schützen solle, war seit Jahrhunderten schon 
Niemand mehr eingefallen. 
Dem weichlichen und schlecht erzogenen Karl Alles das zu entreißen, was seine 
großen Vorfahren außer Schweden zu gewinnen gewußt hatten, vereinigten sich 
1698 Dänemark, Polen und Rußland zu einem Kriegsblind. Aber man weckte 
damit einen schlafenden Löwen: denn, seit der Krieg gewiß war, war auch verjünge 
König durch und durch Soldat und schwor, ohne Ströme Bluts nicht einen Fuß 
breit Landes herzugeben. Karl XII. suchte nun durch kühnen Ueberfall die Coali- 
tion zu sprengen, und wirklich war schon 4 Monate nach Eröffnung des Feldzugs 
durch den dänischen Einfall in Schleswig König Friedrich IV. von Dänemark zu 
einem Frieden zu Travcndahl 18. Aug. 1700 gcnöthiget. Jetzt eilte Karl nach 
Licfland, in welches Czar Peter, dem es um den Besitz der Ostseeküsten zu thun 
war, und August von Polen eingefallen waren, und siegte am 30. Nov. bei Narwa 
mit 8000 Schweden über 80,000 Russen, eilte dann nach Polen, drang unter fort- 
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