Wcnn es aber fast noch ein Jahrhundert nach dem Sturze der Merowinger dauert,
so erwäge man die neue volle zusammcnhaltende Kraft des nächsten Herrscherstam¬
mes, und wenn man cs nicht begreift, warum nicht Sachsen, Friesen, Baicrn,
Alemannen, Ostfrankcn, die in einzelnen Kämpfen ihr Blut und Leben vergeudeten,
zur gemeinschaftlichen Erlösung das Schwert erhoben, so lag es eben daran, daß
Sachsen, Friesen, Franken, Schwaben, Baicrn isolirte Stämme waren, von Slaven
und Avaren stets alarmirt, von den Majordomen scharf bewacht und von der ge¬
wonnenen Geistlichkeit immer an die Könige über den Rhein und an die Päpste,
ihre Freunde, hingewiescn.
In diesem Zeitraum fangen Alemannen und Sueven, verschiedene Zweige
eines Stammes, an in Deutschland selbst allmählich zu dem Namen Snaven oder
Schwaben zu verwachsen; und blieb ein Unterschied, so waltete das Alemannische
mehr am Bodensee und jenseits des Rheins in Helvetien und Elsaß, das Suevische
östlich des Rheins bis an den Lech vor. Die Alemanncn-Schwaben oder Sucv-
Alemannen hatten, wie ihr eigenes Gesetz, so auch ihre eingebornen Herzoge. So
werden Leutharius und Bucilin (um 548 die kühnen Kämpfer in Italien), so Leut-
fried, Unzelin (588), Leuthar (6*8) und Gottfried (656), Theotbald und Lantfried
(746) genannt. Aber die Versuche, sich völlig von den unbequemen Franken loszu¬
machen, scheiterten endlich 746 durch die Waffen der Majordomen und endeten
748 mit Einverleibung des Landes ins Frankcnreich. Warin und Ruodhard, die
Franken, erscheinen nun als Kammerboten.
Das Christenthum, soweit dasselbe nicht schon unter den Römern hier geblüht
hatte oder durch neue Menschen und Ketzereien in Abgang gekommen war, pre¬
digten besonders Männer aus Irland und Britannien, die cs sich zur Aufgabe
gesetzt, die erkannte und dort rein erhaltene Wahrheit des Evangeliums den Un¬
wissenden oder Irrgläubigen des festen Landes zu predigen. Armuth und Roth
hatten auf jenen Inseln den Glauben rein und frisch und die Geistlichen wach im
Werke Gottes erhalten. Im Anfang des siebenten Jahrhunderts erschienen Colum-
ban und Gallus an dem Bodcnsee und predigten unverdrossen, wie Mancher auch
ihnen drohete und sie verschmähete: sie predigten ja einen Meister, der Größeres
freiwillig ertragen. Und es gehörte kein gemeiner Muth und kein blos gewöhnli¬
cher Eifer des Predigers aus seinen fetten Pfründen dazu, mit Aufopferung des
Vaterlandes nach stürmischer Meerfahrt unbekannte Menschen zum Thcil in bar¬
barischen Wildnissen aufzusuchcn und nun den schweren Kampf mit Leidenschaftcu
und uralten Gewohnheiten zu beginnen, den Mann von seinen mehrern Weibern
oder einer zu nah verwandten Gattin, das Weib von ihren Lieblingsbräuchen,
welche Großmutter und Urgroßmutter schon gehabt, zu trennen, dem Aberglauben
aller Art, dem Unkraut in der Flur des Glaubens, zu steuern, sich darum Verfol¬
gungen und Martern auszuscßen, in Kerkern zu schmachten und der Lehre Wahr¬
heit, sofern es nöthig, auch mit dem eigenen Blute zu besiegeln, und selbst dann
war's oft nur eine Saat auf die Hoffnung hin, ob Gott sic segnen und behüten
wolle. Bei einem Wodansfcste zu Bregenz predigten sie nicht nur, sondern war¬
fen auch die Götzen in das Wasser und zertrümmerten das große dem Gott geweihcte
Gefäß voll Bier im Tempel. Gallus gründete das nach ihm benannte Kloster St.
Gallen mit der nachmals berühmten Schule; es entstand das Bisthum Constanz.
In seiner Nähe traten auch der Irländer Fridolin, dann Trudbcrt im Breisgau
und Pirminius auf, welcher das Kloster Reichenau am Bodensee gegründet. —
Oestlich vom Lech saßen die Bojoarier (später Baicrn genannt), gewiß
echt deutsches Volk, wenn auch sein Entstehen nach Zeit und Weise nicht mit Be¬
stimmtheit nachgcwiescn werden kann. Ein Volk kann lange da sein, ehe cs sich
selbst um einen Namen bemüht, oder che der Nachbar und endlich erst der Schrift-