Die erste von seinen Frauen, Katharina von Ara¬ 
gon ien, war schon vorher mit seinem Bruder verheirathet 
gewesen. Seit zwanzig Jahren nannte' er sie nun seine 
eigene Gemahlin. Sie hatte ihm die nachherige Königin 
Maria geboren; nie aber war ihm wegen der nahen Ver¬ 
wandtschaft die geringste Bedenklichkeit in den Sinn gekom¬ 
men. Als er jedoch die junge, schöne, geistvolle Ann a 
Boleyn sah, und es ihm nicht gelingen wollte, sich ihren 
Besitz auf eine andere Art als durch die Hand des Prie¬ 
sters zu verschaffen, da empfand er auf einmal die nagend¬ 
sten Gewissensbisse, und jetzt erst fiel ihm ein, daß Jo¬ 
hannes der Läufer zu Herodes sagte: es ist nicht recht, 
daß du deines Bruders Weib zur Frau hast. Er 
wandte sich daher ungesäumt an den heiligen Vater Papst und 
verlangte von ihm die Auflösung seiner Ehe. Da sie ihm 
dieser nicht zugestehen wollte, ließ er sich durch einen engli¬ 
schen Bischof scheiden, und vermählte sich nun ungehindert 
mit der schönen Anna, die ihm das Jahr darauf eine 
Tochter, die nachherige Königin Elisabeth, gebar. 
Aber auch die Neigung zu ihr war bald vorüber. Er 
hatte eine andere Schöne, Johanna Seymour, gesehen, 
und sein Herz von ihr fesseln lassen. Sich seiner Anna, 
die vor fünf Jahren der höchste Gegenstand seiner Wünsche 
schien, schnell wieder zu entledigen, war jetzt sein einziger 
Gedanke. Der Grausame suchte auf Kosten ihrer Ehre 
und ihres Lebens seine Hand wieder frei zu machen. Er 
ließ sie der Untreue anklagen, sie verhaften und von schänd¬ 
lichen Richtern nach einem tumultuarischen Verhör zum Tode 
verurtheilen. 
Anna war durch Schönheit, Milde und Wohlthatig- 
keit der Abgott aller ihrer Umgebungen; es fehlte ihr aber 
an Behutsamkeit im Betragen. In Frankreich erzogen und 
von Natur lebhaft und fröhlich, schien ihr das steife cngli-
	        
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