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finden, weiche die abrollende Flut zurückgelassen hat. Gierig
picken sie diese mit ihren scharfen Schnäbeln auf und tragen sie
dann in raschem Fluge in ihre Nester, wo jung und alt sich an
der Beute gütlich tun.
Der Sommer ist für den Halligbewohner die arbeitsreichste
Zeit. Denn neben dem Fischfang muß auch die Heuernte ein¬
gebracht werden. Schon früh am Morgen wird es lebendig auf
den Werften. Männer, Frauen und Kinder verlassen, mit großen
weißen Tüchern unter dem Arme und langen Rechen auf den
Schultern, ihre Häuser. Sie begeben sich hinunter auf die Wiesen,
die sich am Fuße der Werft erstrecken, und auf denen das bereits
gemähte Gras von der Sonne und dem Winde getrocknet ist. Da
auf den Halligen Pferde und Wagen selten sind, wird das Heu,
nachdem es mit den Rechen zusammengehäuft ist, in die weißen
Tücher gebündelt und auf die Werft getragen. Hier häuft es sich
vor dem mit Stroh bedachten Hause allmählich zu einem großen
Berge an, der am Abend durch die breite Luke im Giebel auf den
Hausboden geschafft wird. Wie glücklich sind die Halligbewohner,
wenn sie den Ertrag ihrer Wiesen unter Dach haben; reißt doch
gar oft die gierige See ihnen die einzige Ernte mit sich fort! Ist
das Wetter schön und der Graswuchs reichlich gewesen, dann ist
die Heuernte trotz aller Arbeit und Mühe eine rechte Festzeit. Denn
was den Bewohnern der kalten Länder des hohen Nordens das
Renntier, das ist den Halligleuten das Haliigschaf, das ihnen Fleisch.
Milch und Wolle liefert.
Wenn aber im Winter Schnee und Eis die Halligen bedecken,
dann gewähren die kleinen Inseln einen öden Anblick. Überall
herrscht Stille und Ruhe. Selbst die grauen Watten und das Meer
liegen in den Fesseln einer dichten Eisdecke, und selten belebt ein
menschliches Wesen die Einöde. Keinen Baum oder Strauch erblickt
das nach Abwechslung spähende Auge, ja, es scheint sogar zweifel¬
haft, ob die halbverschneiten Häuser wirklich bewohnt sind. Denn
auch auf den Werften regt sich nichts, überall ist eine Stille des
Todes! Dennoch herrscht im Innern der Häuser ein reges Leben
und Schaffen; die „Butenarbeit“ ist getan, und nun muß die „Binnen¬
arbeit“ erledigt werden. Die Männer haben ihre Boote und Kähne
ins Haus getragen und auf der großen Diele auf ein Gerüst gestellt.
Sorgfältig bessern sie die Schäden aus, damit die Fahrzeuge wieder
seetüchtig sind, wenn im warmen Frühlingswinde das Eis geschmolzen
ist. Die Frauen und Mädchen spinnen, stricken und weben und
verarbeiten die Wolle ihrer Schafe. Die alten Männer verfertigen
Körbe zum Aalfangen, die alten Frauen stricken grobe Fischnetze,
hilfreich gehen ihnen bei diesen Arbeiten die Kinder zur Hand.