2
Und warum lesen wir die Geschichte? 3ft wo ein Mensch, welcher
nicht vielmal der Seimgen gedenkt, ihrer. Freuden und Leiden; der das Gute
vergessen möchte, das sie ihm gethan, des Erbtheils, das sie ihm Hinter¬
sassen haben? Und sie sind ja alle uns verwandt, die vor Jahrtausenden
auf der Erde wandelten, die seit Jahrtausenden nun die Erde deckt, sie sind
unsere Väter und Brüder, so fern wir ja alle Kinder eines Vaters sind.
Sie haben für uns gearbeitet und ein großes Erbtheil uns übergeben; sie
haben den Stier angejocht und das Pferd gezäumt; sie haben gelernt den
Acker zu bauen und aus der Wolle und Flachsfaser Gewänder zu weben;
sie haben das Schiff erfunden, das uns über die Wogen trägt; sie haben
Holz und Steine zu Gebäuden gefügt u. s. w. Das ist das Erbtheil, das
wir von ihnen empfangen'haben, und wenn wir die Namen der Männer
nicht mehr wissen, welche diese oder jene Erfindung gemacht haben, so ziemt
es um so mehr, die Namen verdienter Völker dankbar zu bewahren. Viele
Männer haben int Felde der Wissenschaft mit bewundernswürdigem Fleiße
und aufopfernder Entsagung gearbeitet; wieder andere haben ihr Leben der
Wahrheit geopfert; andere sind dem Vaterlande treu geblieben bis in den
Tod; Könige sind Väter ihrer Völker gewesen, und so treffen wir viele Bei¬
spiele des Guten und Edlen, die uns erheben und zur Nacheiferung spornen
und der ist ein Unwürdiger, der nicht Freudt hat am Guten, und in dem
diese Freude nicht den Trieb zum Guten erweckt.
Der Mensch ist es aber nicht allein, welcher die Geschichte macht, es
ist eine höhere Hand, welche in die Entwicklung der menschlichen Dinge
hereingreift; wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der erkenn:
Gottes Macht und Größe in der Natur und lernt ihn da fürchten und
lieben; Gott ist aber nicht blos der Gebieter des Sturms und des Hoch¬
gewitters, er waltet auch über dem Donner der Schlacht und dem Toben
der Völker uitd übt da Gerechtigkeit. Die göttliche Gerechtigkeit wandelt mit
sichtbaren Schritten durch die ganze Weltgeschichte; nie bleibt die Ungerechtig¬
keit der Völker straflos, die Strafe folgt sicher, wenn auch spät, und man
dürfte vor das erste Blatt der Geschichte schreiben: Lernet Gerechtigkeit, ibr
Sterblichen, denn ihr seid gewarnt, und vergesset euren Gott nicht!
Mit dieser Gesinnung, und sie ist die Weihe der Geschichte, die man
mitbringen muß, um sie noch reichlicher zu enipfangen, treten wir in die