Coriolan. 
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lebte damals in Rom ein Patricier, C. Marcius, der von der 
Eroberung der volskischen Stadt Corioli den Beinamen C-orio- 
lanus führte. Vornehme Geburt, Reichthum und Kriegsruhm 
machten ihn so stolz, daß Wenige so glühend die Plebejer haßten 
wie er. Run entstand um diese Zeit (489) eine große Hungers- 
noth in Rom. Das Volk fing an zu murren, schob alle Schuld 
auf die Patricier, und es verbreitete sich das Gerücht, daß diese 
Getreide genug in ihren Häusern hätten, es aber nicht heraus¬ 
geben wollten. Einigermaßen beruhigte sich zwar das Volk, als 
der Senat einige Schiffe nach dem kornreichen Sicilien schickte und 
dort auf öffentliche Kosten Getreide aufkaufen ließ. Die Schiffe 
kamen reichbeladen zurück, und das Volk sah begierig der Aus- 
theilung entgegen. Nur wie man dabei verfahren wollte, dar¬ 
über wurde noch im Senat berathschlagt. Die Vernünftigeren 
meinten, man solle das Korn dem armen Volke entweder ganz 
schenken, oder doch nur einen ganz geringen Preis setzen. Da 
sprang der stolze Coriolan unwillig auf und rief: „Will das 
Volk von unserm Getreide essen, so mag es auch uns dienen und 
die Tribunenwürde aufgeben. Gefällt es ihm bei uns nicht, so 
ziehe es aus; der heilige Berg und jeder andere steht ihm frei. 
Glaubt mir, nur Elend und Roth kann das Volk bei seiner 
Pflicht erhalten!" Diese Worte erfuhr das Volk bald wieder; 
es gerieth in Wuth, und wenig fehlte, daß es nicht die Versamm¬ 
lung gestürmt und den Coriolan zerfleischt hätte. Er wurde vor 
den Richterstuhl der Tribunen berufen und, da er nicht erschien, 
auf Betrieb der Plebejer aus Rom verbannt. Mit stolzem Selbst¬ 
gefühl riß er sich aus den Armen seiner Mutter, seines Weibes 
und seiner Kinder und, furchtbare Drohungen ausstoßend, verließ 
er die Stadt. Dann begab er sich zu den Volskern, damals 
dem furchtbarsten Feinde der Römer, und bewog sie, den Römern 
den Krieg anzukündigen. Sie stellten ihn mit Freuden an ihre 
Spitze. Alles ging nach Wunsch; er nahm den Römern einen 
Platz nach dem andern weg, verheerte alle dem gemeinen Volke 
gehörenden Felder und rückte endlich selbst bis Rom vor. Die 
Römer erschraken; denn Alles ließ die Wuth und Rache des wil¬ 
den Coriolan fürchten. Die Weiber liefen mit Angstgeschrei durch 
die Straßen; in den Tempeln umfaßten die Greise die Bilder der 
Götter und flehten um Abwendung der Gefahr, und das Volk 
ruhte nicht eher, bis der Senat eine Gesandtschaft an Coriolan 
abgehen und ihm Widerruf der Verbannung anbieten ließ, wenn 
Weltgeschichte für Töchter. I. 14. Aufl. 11
	        
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