Full text: Geschichte der Griechen und Römer (Cursus 2)

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benachbarter Völkerschaften, wenn sie auch ganz ver¬ 
schiedenen Stämmen angehörten, um ein gemein¬ 
schaftliches Heiligthum. Der Zweck war Feier religiöser 
Feste durch gemeinsame Opfer; hieran schlossen sich dann Bera¬ 
thungen, bei denen die Opfergenossen durch Gesandte vertreten 
wurden. Die natürliche Folge solch religiöser Verbindungen war 
Gewährleistung gegenseitigen Schutzes, auch Beförderung des 
Verkehrs. Denn als Theilnehmer an denselben Heiligthümern 
fühlten sich die so vereinigten Staaten durch ein religiöses Band 
einander näher gestellt und zur Beobachtung gegenseitiger Rechte 
verpflichtet.l) 
4) Die wichtigste Amphiktyonie ist in der Folge die um 
das Heiligthum des pp t hi scheu Apollon zu Delphi gewor¬ 
den. Denn durch Theilnahme fast sämmtlicher griechischen Staa¬ 
ten wurde sie neben den Olympien der zweite nationale Haupt¬ 
verband der Griechen, daher auch vorzugsweise die Amphiktyonen 
Griechenlands (commune Graeciae concilium nach Cicero) ge¬ 
nannt. Die delphischen Aurphiktyonen haben ihren Ursprung und 
zum Theil ihre Einrichtung von einer Opfergenossenschaft erhalten, 
die aus etwa zwölf im Norden und Süden' des Oeta wohnenden 
Völkerschaften^) bestehend, schon in sehr früher Zeit alljährlich im 
Herbste bei einem alten Tempel der Denreter am Eingang in den 
Paß der Thermopylen der ernährenden Mutter-Erde ein gemein¬ 
sames Dankopfer für die Erndte darbrachten. Als das Orakel 
und der Kultus des Apollon zu Delphi zu großem Ansehen ge¬ 
langte, nahmen diese Amphiktyonen auch an dem Opfer Antheil, 
welches dem Sonnengotte im Frühjahr, wenn er die Erde mit 
neuem Lichte erquickte, gebracht wurde. Seitdem (noch im Laufe 
des achten und siebenten Jahrhunderts) erweiterte sich die Amphi- 
ktyonie durch die Aufnahme der meisten griechischen Staaten zu 
einer allgemeinen hellenischen. 
Jährlich wurden zwei Versammlungen gehalten: im Herbste 
bei den Thermopylen^) in der Nähe des Tempels der De- 
1) So ward der anfangs religiöse Zweck zugleich ein politischer, indem die 
Relsgion, die Pflegerin jeder höhern Ahnung im Menschen, zuerst den Be¬ 
griff von einer Art Völkerrecht entwickelte, und zwischen den Mitglie¬ 
dern einer Amphiktyonie ein Berhäljniß heiligte, das man dem Gottes- 
srredcn im Mittelalter vergleichen kann. — Freilich ward später bei 
der Entartung die Ainphiktyonie von einzelnen übermächtigen Mitgliedern 
zu ihren selbstsüchtigen Zwecken, zur Unterdrückung der Schwächcrn, ge- 
mißbraucht. wie dies bei den berühmtesten, dem sogenannten delphischen 
Amphiktyonengericht, von Sparta und Theben, am verderb¬ 
lichsten aber von Philipp von Mazedonien geschah. 
2) Es waren: Theffalier, Böotier, Dorer, Ionier von Euböa, Perrhäber, 
Magneten, Lokrer, Phthiotische Achäer, Malier, Phokier, Doloper. 
3) D. i. an den warmen Thoren, daher der Name Pylagoren für die 
eine Klasse der Abgeordneten; die Hauptgesandtcn, die das Opfer zu brin¬ 
gen hatten, hießen Hieromnemonen.
	        
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