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Söhne, später wurde er zwar frei gegeben, doch Judith's Ränke ließen
nicht nach und bald kam er zum zweiten Male in Gefangenschaft. Als
aber der älteste Sohn Lothar, dessen Reich bis heute Lotharingen oder
Lothringen heißt, den Vater zur öffentlichen Kirchenbuße zwang, um ihn
vor dem Volke recht herabzuwürdigen, vereinigten sich Ludwig und Pipin
gegen Lothar und erhoben den Vater wieder auf den Thron. Indessen
lohnte er seinen Söhnen Ludwig und Pipin doch schlecht; denn er ließ
sich von seiner Gattin und Lothar so leiten, daß er nach Pipin's Tode
wieder eine neue Theilung vornahm, in welcher Lothar und Karl der Kahle
am meisten bedacht wurden. Jetzt zog Ludwig der Deutsche abernrals
gegen den Vater zu Felde, doch der plötzliche Tod des Kaisers machte
diesem neuen Kriege bald ein Ende, und als nun Lothar die Kaiserwürde
annahm, Ludwig in Deutschland, Karl in Frankreich unabhängig herrschten,
schien der Friede zwischen den Brüdern auf immer gesichert zu sein. Allein
Lothar zeigte sich wieder so anmaßend, daß Ludwig und Karl sich gegen
ihn vereinigten. Sie kamen deshalb im Jahre 842 zu Straßburg zusam¬
men und schworen gegenseitig einen feierlichen Eid des Inhalts: Aus Liebe
gegen Gott, für das christliche Volk und unsere beiderseitige Erhaltung,
will ich von diesem Tage an und fernerhin, so lange mir Gott Wissen
und Vermögen verleiht, diesen meinen Bruder aufrecht erhalten und ihm in
jeder Sache helfen, wie ein Mensch mit Recht seinem Bruder helfen soll;
mit Lothar aber will ich keinen Vergleich eingehen, der mit meinem Willen
dem mir verbündeten Bruder zum Schaden wäre.
Nach dieser eidlichen Verbindung rückten Ludwig der Deutsche und
Karl der Kahle gegen Lothar. Nach einer siegreichen Schlacht nöthigten
sie ihn zu einem Vergleiche, der zu Verdun geschlossen wurde 843. Durch
diesen Vergleich bekam Lothar Italien mit der Kaiserwürdc und Loth¬
ringen, Ludwig Deutschland, Karl der Kahle Frankreich. So war nun
die große Monarchie Karl's des Großen getheilt, Deutschland und
Frankreich aber wurden aus immer von einander getrennt. Doch in
allen drei Reichen arteten die Karolinger bald aus. Dem Kaiser Lothar
folgte dessen Sohn Lothar II., und diesem sein Enkel Ludwig II., mit
welchem der Stamm Lothar's ausstarb 875. Die Kaiserkrone erhielt her¬
nach Karl der Kahle, König von Frankreich, und erst nach dessen Tode
kam sie auf einen Sohn Ludwigs des Deutschen, Karl den Dicken, der
auf kurze Zeit wieder die ganze Monarchie Karl's des Großen unter seinem
Scepter vereinigte. Allein die Geistesschwäche dieses Fürsten und die Ein¬
fälle der Normannen in Nordfrankreich bewirkten seine Absetzung im I.
887; bald darauf starb er 883. Während dieser Zeit geriethen die frän¬
kischen und deutschen Staaten in große Zerrüttung, geistliche und weltliche
Große maßten sich immer mehr Besitzungen und Rechte an, die Könige ver¬
loren Macht und Ansehen, die Staaten lösten sich in viele einzele Gebiete auf,
Verwirrungen, Befehdungen und Bedrückungen hatten überall die Oberhand.