Full text: Mittlere Geschichte (Theil 2)

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die Anmaßung aussprechen zu dürfen, daß es nur dem päpstlichen Stuhle 
zukomme, die Kaiserkrone verleihen zu können. Dadurch mußte der Einfluß 
und die Gewalt des Papstes in dem Gange der Weltbegebenheiten allerdings 
von Neuem steigen und hierzu trug auch eine geistliche Betrügerei bei, die 
in der Entwickelung der Papstmacht zur Weltherrschaft die höchste Bedeu¬ 
tung und Wichtigkeit erlangt hat. Um die Mitte des neunten Jahrhun¬ 
derts verbreitete sich nämlich unter dem Namen des Jsidorus, Bischofes 
von Sevilla, eine Sammlung erdichteter Kirchengesetze, die man für achte 
gesetzliche Bestimmungen der alten Kirche ausgab. Ihr Inhalt ging nur 
dahin, der im Clerus schoit lange hervorgetretenen Richtung zu dienen, die 
Kirche von bcn weltlichen Regenten unabhängig zu machen und ihr in dem 
römischen Oberbischofe einen selbstständigen Stützpunkt zu verleihen. Diesem 
Plane der Hierarchie gemäß entwickelteit jene, unter dem Namen „pseudo- 
isidorischc Decretalen" bekannt gewordenen Gesetze die Erhebung der 
bischöflicheit Würde über jede aitdere Stellung in dem Staate und in der Kirche; 
sie legten zugleich eine Menge vorgeblich altkirchlicher Bestimmungen vor, durch 
die der Clerus, vornehmlich aber der Bischof, vor jedem Angriffe gesichert 
sein sollte, und erweiterten die Rechte des römischen Stuhles in einer früher 
nicht gekannten Weise, so daß nur das Papstthum in Rom unbedingt als 
Grund, Vorbild und Haupt aller Kircheit dargestellt wurde, und diese, als 
Glieder, nur dem zu folgen hätten, was in deni „Haupte" vorgehe. Diese 
falschen Decretalen kamen zuerst um die Mitte des 6. Jahrhunderts in 
Mainz zum Vorscheine; sie sind höchst wahrscheinlich in Ostfranken geschmie¬ 
det worden. In jener Zeit, zu welcher alle Wissenschaft so tief darnieder 
lag und nur noch in den Händen weniger Geistlichen ruhte, war es leicht, 
die erdichteten Decrete in die Kirche einzuschwärzen und selbst bei öffentli¬ 
chen Verhandlungen sich auf sie wie auf ächte kirchliche Erlasse und Be¬ 
stimmungen zu berufen. Nicolaus I. war der erste Papst, der sie kennen 
lernte (861), aber auch für sein Interesse sogleich benutzte, ohne deshalb 
einen Widerspruch zu erfahren. Unangefochten wurden sie in der späteren 
Zeit von dem Papstthume gebraucht, doch seit dem Ende des 12. Jahrhun¬ 
derts erhoben sich selbst in der römischen Kirche Stimmen gegen ihre 
Aechtheit, bis endlich im 16. Jahrhunderte gelehrte Protestanten den Be¬ 
trug unzweifelhaft nachwiesen, — so unzweifelhaft, daß selbst gelehrte 
Jesuiten, wie Bellarmin und Baronius, die Aechtheit jener Decretalen 
im Allgemeinen nicht mehr vertheidigten. Dagegen haben spätere Vertreter 
des gewaltthätigen Papstthumes doch geläugnet, — wenn sie auch den Be¬ 
trug nicht in Abrede stellen mochten, — daß die römisch-kirchlichen Grund- 
sätze durch jene Decretalen einen Umschwung erfahren hätten. 
Ohngeachtet dieses Betruges konnte indeß die päpstliche Autorität doch 
nicht so rasch über alle Verhältnisse sich hinaussetzen, als es ihr Wille war; 
ja sie erlitt selbst im 16. Jahrhunderte noch manche schwere Erschütterung. 
Wußten doch die sächsischen Ottone das Papstthum in Schranken zu halten;
	        
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