konnte seinen Unwillen über Julia's Benehmen nicht bergen, schrieb auf
eine Schreibtafel: „Julia möchte sehen, welch' ein Unterschied zwischen den
zwei ersten Frauen Roms ist," und schickte sie ihr zu; Julia schickte sie
ihm sogleich mit der allerdings witzigen, aber unziemlichen Antwort wieder
zu: „Mit der Zeit werden wir auch alt werden."
Ein andermal erschien sie am Hofe in einem etwas freien Anzüge;
der Vater ließ ihr seinen Unwillen merken, ohne jedoch etwas zu sagen.
Den folgenden Tag besuchte sie ihn in einer anderen anständigeren Kleidung
und umarmte ihn mit einer ernsthaften Miene, worauf Augustus mit Hei¬
terkeit zu ihr sprach: „So gefällst Du mir; dies ist ein Anzug, der sich
für des Augustus Tochter schickt." Da erwiederte Julia: „Gestern hatte
ich mich für meinen Mann geputzt, heute für meinen Vater."
Indessen wachte Agrippa, ihr gütiger Gemahl, wie ein guter Genius
über sie, so lange er lebte. Aber schon im I. 10 v. Chr. starb er, und
nun war sie leider rath- und schutzlos den Ränken der Livia preisgegeben.
Wohl hatte Julia dem Agrippa drei Söhne geboren; für Erben und
Nachfolger war also gesorgt. Allein diese waren noch Kinder; Augustus
vermählte jetzt seine Tochter Julia mit dem Tiberius. Dieser geberdete
sich, obschon er noch in den jüngeren Mannesjahren stand, viel gravitäti¬
scher, als der alte Agrippa, und ließ der arglosen Julia geflissentlich alle
Freiheit. Ja, er reiste sogar, gleich als ob er ihren Hang zum Leicht¬
sinne fördern wollte, nach Nhodus, wo er sich längere Zeit aufhielt und
einem unordentlichen Leben überließ. Unterdessen wandte sich Julia, froh,
den finsteren Gatten los zu sein, ganz den geselligen Freuden zu, und
Augustus, der jetzt auch seinen letzten Freund und besten Nathgeber, Mä-
cenas, durch den Tod verloren hatte, war nun ganz in den Händen seiner
Gattin, welche die Stieftochter geflissentlich eine Zeitlang ganz unbewacht
ließ. Ihr zügelloses, ungebundenes Leben war in ganz Rom bekannt. Da
wurde eines Morgens dem Kaiser die Nachricht gebracht, Julia habe in
der Nacht mit ihrer muthwilligen Gesellschaft, zu der auch Julius An¬
tonius, der Sohn des Triumvirs Antonius, gehörte habe, ein Bacchanal
auf offenem Markte gehalten. Hierüber erzürnte Augustus in hohem Grade,
und Argwohn gegen Julius Antonius steigerte seinen Zorn. Längst schon
betrachtete er jenen jungen Römer mit Mißtrauen und Furcht, denn Julius
Antonius besaß eine feine Bildung, zeichnete sich als Staatsmann und
Krieger aus, war ein Freund des Horaz und der Wissenschaften und ein
Liebling des Volkes, so daß Augustus in ihm den Vater und ehemaligen
Gegner wieder aufleben sah. Dazu kam, daß sich zwischen Julius Anto¬
nius und Julia eine gegenseitige Neigung verrieth, die mehr aus politischen,
als moralischen Gründen anstößig zu sein schien. In einem ehelichen Bunde
Beider, die das Volk liebte, sah Augustus für sich und seinen Thron die
größte Gefahr. Darum ließ er sogleich den Senat versammeln, sandte ihm
die Anzeige von dem Vorfalle in der vergangenen Nacht zu, schilderte seine