Object: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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1 HektorS Abschied. 
(Iliade. 6tes Buch. 369—496.) 
Solches gesagt, ging Hektor hinweg mit dem wallenden Helmbusch. 
Aber nachdem er in Eile zum wohnlichen Hause gelangt war, 
Fand er Andromache nicht, die Gefährtin mit blendenden Armen. 
Diese vielmehr mit dem Kind' und der stattlichen Dienerin weilte 
Spähend annoch auf dem Thurm' mit Seufzen und Thränen im Auge. 
Als nun Hektor im Hause die sittige Gattin nicht antraf, 
Wandt er zur Schwelle sich wieder und rüste den Mägden die Worte: 
Auf, ihr Mägde, wohlan! untrügliche Auskunft gebt mir, 
Wo mir Andromache blieb, die Gcfährttn mit blendenden Armen, 
Ob Mannsschwestern vielleicht, ob stattliche Frauen der Schwäger, 
Ob sie den Tempel besucht der Athene, wo ja die andern 
Lockigen Weiber der Troer die zürnende Gottheit sühnen? 
Ihm antwortete wieder die hurtige Schaffnerin also: 
Hektor, dieweil du mich heißest verlässige Auskunft geben, 
Nicht Mannsschwestern besucht sie, noch stattliche Frauen der Schwäger, 
Noch auch etwa den Tempel der Athene, wo ja die andern 
Lockigen Weiber der Troer die zürnende Gottheit sühnen; 
Sondern zum ragenden Thurme von Jlios ging sie, vernehmend, 
Drangsal litten die Troer, es wäre der Sieg den Achaiern. 
Also zur Mauer gelangte sie jetzt eilfertigen Ganges, 
Einer Verwirrten gleich, und die Wärterin trägt ihr das Knäblei«. 
Also die Wirthschaftsfrau. Doch Hektor, verlassend die Wohnung, 
Eilte desselbigen Weges zurück durch stattliche Gaffen, 
Als er dem Thore sich nahte, durchschreitend die räumige Beste, — 
Skäischcs heißt es, — hinaus durch dasselbe zu gehn in das Blachfeld, 
Kam die begüterte Gattin im Laufe daher ihm entgegen, 
Sie, die Andromache, welche der edle Eötion zeugte; 
Aber Eötion wohnt' am Plakos, dem waldungreichen, 
Dort in der plakischen Thebe, kilikische Männer beherrschend, 
Dessen Erzeugte war Gattin des erzumpanzerten Hektor. 
Diese begegnet ihm jetzt, und der Dienerin, welche ihr folgte, 
Lag in den Armen das Kind, noch ganz unmündig und arglos, 
Hektars Sohn, der geliebte, dem köstlichen Sterne vergleichbar, 
Welchen Skamandrios Hektor, Astyanax*) aber die Andern 
Nannten, da Hektor allein von der Stadt abwehrte die Feinde. 
Er nun also mit Lächeln betrachtete schweigend das Knäblein, 
Aber Andromache trat ihm zur Seite, mit Thränen im Auge, 
Reichte die Hand ihm vertraulich und redete also beginnend: 
Lieber, den Tod wird endlich dein Muth dir bringen! Dich rührt selbst 
Nicht dein stammelndes Kind, noch ich Unglückliche, bald, ach! 
Wittwe von dir; denn gewiß bald strecken dich hin die Achaier, 
Alle gesammt anstürmend. Allein wenn ich deiner entbehrte, 
Wäre das Beste für mich, in die Erde zu sinken; denn weiter 
*) D. i. durch den Namen Astyanax (Stadtfürst) gab sich die Meinung kund, er müsse einmal König 
werden; und diese gründete sich darauf, daß Heltor unrer allen Söhnen des Priamus sich am meisten um 
Jlios verdient machte.
	        
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