Full text: Neuere Geschichte (Theil 3)

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Schlußwort. 
So hätten wir die Geschichte der Jahrhunderte und Jahrtausende 
durchgegangen. Wenn wir dieß mit einiger Aufmerksamkeit und nicht mit 
nur flüchtigen Blicken gethan haben, kann es nicht fehlen, daß unser Geist 
von ernsten Gedanken ergriffen, unser Herz von großen Empfindungen 
durchdrungen sein muß. Etwa wie Schiller*), — dieser historische Seher, 
— gehen wir hinaus auf den Berg, die Sonne zu begrüßen, die so lieblich 
scheint, um vom Berge aus die weite Welt zu schauen, die so ruhig und 
anmuthig vor unseren Blicken daliegt. Ist es nicht, als ob die ganze 
Weltgeschichte, Alles, was vom Anbeginne des Menschengeschlechtes bis auf 
unsere Tage geschehen ist, wie in einem Gemälde vor uns liegt? Des 
Menschen Macht und Wirken mitten in der schaffenden Natur, die, so 
mütterlich ste auch für ihn sorgt, doch überwältigt werden muß, soll er sich 
frei und unabhängig von ihren Fesseln zu der Vollendung erheben, zu 
welcher er geboren ist. Hat aber der Mensch in diesem Kampfe mit der 
Natur auch immer das kindliche Gefühl in der Brust zu bewahren gesucht, 
hat er die heilige Mutter geschont, indem er sich von ihr losriß? Hat er 
dabei das Gebot der Liebe, das nie zu zerstören, sondern zu bauen heißt, 
getreulich befolgt? Der erwachsene Sohn kann nicht immer bei der Mutter 
bleiben, er muß sich von ihr losreißen, — muß er aber dieß auf eine 
Weise thun, die ihm alle Rückkehr verschließt? Die zärtliche Mutter wird 
dem Flüchtling immer mit liebendem Blicke Nachsehen und solche Liebe soll 
nicht erwiedert werden? 
Doch wir stellen uns wieder im Gedanken hinaus in's Freie. Ganz 
nahe dem goldenen Zeitalter, in welchem die Menschen mitten in der Na¬ 
tur wenig bedurften, um glücklich zu sein, sehen wir das Dörfchen liegen 
mit dem fleißigen Landvolke; auch die Felder sind als Eigenthum von ein¬ 
ander geschieden durch Raine und Marksteine, durch Zäune und Gehege. 
Die Mutter Natur erinnert aber den Menschen immer wieder an das 
Gebot der Liebe, indem sie, wie zum Trotze wuchernd, die Raine über¬ 
wächst, mit üppigem Pflanzenwuchse bedeckt und über den Zaun hinaus 
die fruchtbeladenen Zweige des Baumes streckt. Schimmernden Streifen 
gleich sehen wir die Landstraße durch die Ebenen sich hinziehen und gleich 
dem breiten Strome das Land durchschneiden. Auf den Straßen befrach¬ 
tete Wagen und Wanderer ohne Zahl und auf dem Strome Flöße und 
Kähne, wohin ziehen sie alle? In der Ferne erblicken wir das Ziel der¬ 
selben, die sich thürmende Stadt mit den beleuchteten Kuppeln, wo 
Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen. Enger wird's um ihn, 
Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt. 
Sieh', da entbrennen in feurigem Kampfe die eisernen Kräfte, 
Großes wirket ihr Streit, Größeres wirket ihr Bund. 
*) Schiller's Elegie: Der Spaziergang.
	        
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