Full text: Neuere Geschichte (Theil 3)

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Tausend Hände belebt Ein Geist, hoch schlaget in Lausend 
Brüsten von Einem Gefühl glühend ein einziges Herz, 
Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze, 
Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrtes Gebein. 
Nieder steigen vom Himmel die seligen Götter, und nehmen 
Zn dem geweihten Bezirk festliche Wohnungen ein, 
Herrliche Gaben bescheerend erscheinen sie; Ceres vor allen 
Bringet des Pfluges Geschenk, Hermes den Anker herbei, 
Bacchus die Traube, Minerva des Oelbaums grünende Reiser, 
Auch das krie'grische Roß führet Poseidon heran, 
Mutter Cybele spannt an des Wagens Deichsel die Löwen, 
Zn das gastliche Thor zieht sie als Bürgerin ein. 
Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzer der Menschheit, 
Fernen Inseln des Meeres sandtet ihr Sitten und Kunst. 
Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren, 
Helden stürzten zum Kampf für die Penaten heraus. 
Doch eben in diesem engeren Zusammenleben der Menschen, wie ent¬ 
fremden sie sich einander: Dienende und Gebietende, Arbeitende und Ge¬ 
nießende, Arme und Reiche, Hohe und Niedrige stehen sich schroff ent¬ 
gegen, wie wenig achtet man auf beiden Seiten das Gebot der Liebe. 
Leidenschaften aller Art, am meisten Geiz und Stolz, machen den Menschen 
zum Feinde seines Bruders, für den er Fesseln schmiedet, in welchen er 
nicht nur Lust am Leben, sondern auch Treue und Glauben verlernen soll. 
Da erschallt der Ruf der Freiheit, den die Vernunft mit heiligem Ernste 
spricht, die wilde Begierde hört das Wort und die vernunftlose Menge zer¬ 
bricht ihre Fesseln, aber ach! mit den Fesseln der Furcht zerreißt sie auch 
leicht den Zügel der Scham, denn der Mensch kennt in seinem Wahne 
weder Natur noch Liebe. 
Erschüttert von dem Anblicke der Gräuel, welche Menschen verüben 
können, was kann den Glauben in unserer Brust, den Glauben an 
.sine bessere Zukunft und Liebe zu unserem Geschlechte retten? Besinne dich, 
theures Mädchen, besinne dich, wenn du verzweifeln willst, besinne dich, 
wo du stehest, und daß Alles, was du in jenem großen Bilde der Welt¬ 
geschichte gelesen, eben nur Bilder außer der Natur, nicht aber Erschei¬ 
nungen der Natur selbst sind. Umgewälzt und gewaltsam umgestürzt hat 
der Mensch, was er selbst gebaut und künstlich aufgerichtet hat, — die Natur, 
die schaffende und immerfort zeugende Natur hat er nicht zerstören können. 
Auf den Schlachtfeldern von Philippi, vom Marchfelde und von Wa¬ 
ter lvo siehst du blühende Saatenfelder, Gärten und Wiesen, und während die 
Jakobiner in Paris mordeten, blühten Jahr aus Jahr ein die Rosen und 
Veilchen. Die Nachtigallen des schönen Mai's schlugen in den polnischen 
Wäldern, sobald die Donner der Schlacht bei Ostrolenka verhallt waren; 
die Frauen haben mitten in dieser Todesnacht Leben anzufachen gesucht und 
sind durch die Schrecknisse dieser Zeit an der Hand der Mutter Natur 
furchtlos hingegangen. Die Natur bleibt ewig dieselbe, ob auch Alles 
vergehen will. Denn 
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