70
sonst kann jedes Vergehen durch das Wergeld gebüßt werden.
Die Ansätze des letztem (in Schillingen oder solidis ausgedrückt)
waren nach den persönlichen Standesverhältnissen des Verletzten
(ob er ein Freier oder Unfreier, ein Fürst, ein höherer oder niederer
Geistlicher, ein Vasall oder Gemeinfreier, ein Deutscher oder Römer
war) sehr verschiebend) Wo die Zahlung, für die zunächst der
Thäter, dann subsidiarisch dessen Familie haften mußte, unmöglich
war, trat Verstoßung des Mörders in die Knechtschaft oder auch
die Todesstrafe ein.
5) Im Allgemeinen beruhte die Gerichtsverfassung in
dieser Zeit noch auf dem altgermanischen Grundsätze, daß Antheil
an der Gerichtsbarkeit ein Recht der Freien "sei, und diese
nur vor ihres Gleichen zu Gericht zu stehen hätten. Doch bildeten
sich unter den veränderten Verhältnissen drei Arten von Gerichten:
Hofgerichte unter Vorsitz des Königs oder Pfalzgrafen mit Zu¬
ziehung der obersten Hofbeamten; Lehngerichte, von Vasallen
zusammengesetzt, die über Sachen, welche das Lehnwesen betrafen,
erkannten; Gaugerichte oder die alten Volks ge richte. Zu
diesen kamen die freien Grundbesitzer des Gaues auf Geheiß des
Grafen bei besonderen Veranlassungen lgebotene „Dinge", d. i.
Gerichte) oder ungeboten in der Regel alle 14 Tage („ächte Dinge")
auf der Malstätte — einem Hügel oder sonst freien Platz —
zusammen. Den Vorsitz führte der Graf oder sein Stellvertreter
der Centgraf (eentai'ius, eenturio), denn die eigentlichen Richter
oder Urtheilfinder wurden von dem Grafen mit Zustimmung
des Volkes bestellt. Ihrer Ansicht schlossen sich die anwesenden
Freien an. Allmählig wurde es Sitte, als die Freien mehr und
mehr abnahmen, ständige Urtheilssinder aus rechtskundigen Per¬
sonen zu wühlen, die Schöffen (scabini) hießen. Durch diese
Einrichtung, die Karl der Große gesetzlich machte, verlor das
Volk allmählig seine Theilnahme an den Gerichten.
6) Die Beweisführung geschah durch Urkunden, Zeugen,
Eid und Eideshelfer, d. i. Solcher, die die Wahrhaftigkeit des
Schwörenden noch durch einen besonderen Eid bekräftigten, und
wenn der Beweis nicht ausreichte, durch Ordale (Feuerprobe,
Wasserprobe, geweihte Hostie, Zweikampf).2)
>) Anmerk. Die Strafsätze richteten sich stets nach dem Stande, auch nach
dem Geschlecht und Alter des Verletzten. Nach dem salischen, ripuarischen
und alemannischen Recht stand eine Komposition von 200 Solidi aus der
Tödtung eines freien Mannes, eines Unfreien 100 Solidi, eines Presbyters 600,
eines Bischofs 900 Solidi. Nach dem alemannischen Gesetz wurde das einer
Frau zugefügte Unrecht doppelt so schwer gebüßt, als das an einem Manne
begangene. Die Franken nahmen die Rechnung der Römer nach Solidi und
Denarii an. Die Solidi hatten indeß bei den verschiedenen Stämmen nicht
gleichen Werth. Der salische Solidus war zu 40^, der ripuarische zu 12
Denaren bestimmt. Der damalige Werth eines Solidus im Vergleich zu
unserm Gelde läßt sich mit einiger Sicherheit daraus ermessen, daß eine