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vom Himmel konnte ihnen Errettung aus der großen Noth kom¬ 
men. Alle brannten vor Ungeduld, zu wissen, ob der Traum 
Barthelemy's sich denn bestätigen würde. Zwölf Männer wur¬ 
den dazu erwählt. Sie traten in die Kirche, verschlossen sie hin¬ 
ter sich, wahrend draußen ungeduldig das Volk harrte, und ließen 
an der von dem Mönch bezeichneten Stelle eingraben. Man grub 
vom Morgen bis in die Nacht; zwölf Fuß tief war man schon 
gekommen, und Allen sank nun der Muth. Da stieg Barthelemy bar¬ 
fuß und im Bußhemde selbst hinunter, und bat alle Umstehenden, 
in heißem Gebete zu Gott zu flehen. Plötzlich stieg er wieder hinauf, 
und — hatte die heilige Lanze, die so heiß ersehnte, in seiner Hand. 
Ein lautes Frohlocken durchhallte das Gewölbe des hohen Doms; 
die Thüren flogen auf; die ganze Menschenfluth stürzte herein, 
und labte den trunkenen Blick an der theuern Reliquie. 
Dieser Fund war es, der den abgezehrten Menschengestal¬ 
ten eine neue Kraft einflößte. Alle lechzten nach Sarazenenblut, 
und konnten den Augenblick kaum erwarten, wo sie hinausgeführt 
würden. Ein Tag wurde ihnen zur Erholung bestimmt; sie möch¬ 
ten, hieß es, nur alle ihre übrigen Vorräthe aufzehren, und ihren 
Pferden das letzte Futter geben; denn morgen würden sie sie¬ 
gen, und Alles im Ueberfluß haben; vor dem heiligen Eisen 
könnte kein Feind bestehen; Alle müßten schon bei seinem An¬ 
blicke in den Staub zusammensinken. Das ließen sich die hung¬ 
rigen Kreuzfahrer nicht zwei Mal gesagt seyn; Alle stärkten sich 
durch Speise und Trank, so gut es möglich war, und wahrend 
die Einwohner ihre Waffen rüsten, ziehen die Andern in Proces- 
sionen herum, beichten und versöhnen sich mit ihren Widersachern. 
So brach der von Allen ersehnte Tag an. 
Langsam, wie ein Leichenzug, zogen mit dem Aufgange der 
Sonne die Kreuzfahrer mit abgezehrten Gliedern und wankenden 
Schritten heraus, dem Feinde entgegen. Der Sultan lachte, als 
er sie so Heranwanken sah, und wirklich hatte er auch noch ein 
Mal so viele Menschen. Aber hier sah man recht, welche Stärke 
ein Gedanke giebt, der das ganze Gemüth innigst ergriffen hat. 
Die Kreuzfahrer warfen den ersten Angriff mit Alles zermalmen¬ 
der Kraft zurück. Aber jetzt stürzten die Sarazenen mit solcher 
Uebermacht auf sie los, daß schon ihre Reihen zu weichen ansin¬ 
gen. „Seht!" rief in dem entscheidenden Augenblicke einer der
	        
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