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Himmel sey, dem Jeder müßte Rede stehn von seinen Thaten. 
Vergebens sielen alle Anwesende nieder, und baten um Erlaß. 
Da riß Tell in fürchterlicher Verzweiflung zwei Pfeile aus dem 
Köcher, der kleine Walther stellte sich an seinen Platz, einen Apfel 
auf dem Kopfe, der Vater zielte und schoß — schoß mitten durch 
den Apfel. Wie froh war Tell! wie frohlockten die umstehenden 
Schweizer! Nur Geßler stand mürrisch da, und als Tell nun 
von dannen gehen wollte, rief er ihn zurück. „Du stecktest ja," 
fragte er, „noch einen zweiten Pfeil zu dir? Ja, ja! ich sah es 
wohl! Was meintest du damit?" — Tell zögerte, den wahren 
Grund zu sagen. „Sage mir die Wahrheit," fuhr er fort, „frisch 
und fröhlich, Tell; was es auch sey, dein Leben sichere ich dir. 
Wozu der zweite Pfeil?" — „Wohlan, o Herr!" sprach Tell, 
„weil ihr mich meines Lebens habt versichert, so will ich euch die 
Wahrheit gründlich sagen. Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß 
ich — euch, wenn ich mein liebes Kind getroffen hatte; und 
eurer wahrlich! hatte ich nicht gefehlt!" — „Wohl, Tell!" rief 
Geßler, „desLebens habe ich dich gesichert; doch weil ich deinen 
bösen Sinn erkannt habe, will ich dich hinführen und verwah¬ 
ren lassen, wo weder Mond noch Sonne dich bescheint, damit 
ich sicher sey vor deinen Pfeilen. Ergreift ihn, Knechte! bindet 
ihn!" — Trostlos sah der kleine Walther seinen Vater, sahen die 
ehrlichen Schweizer ihren Landsmann und Freund wegführen. Ge߬ 
ler ließ ihn auf ein Schiffchen bringen, das ihn auf die andere 
Seite des Sees, nach Küßnacht, bringen sollte; er selbst fuhr mit. 
Als sie aber mitten auf dem See waren, brach ein solch grau¬ 
sam-mörderisches Ungewitter aus den Schlünden des Gotthard¬ 
berges los, daß allen Ruderern das Herz entsank, und alle mein¬ 
ten, elend zu ertrinken. Denn wenn der Wind — man nennt 
ihn den Föhn — sich hier in den hohen Bergen, die den See 
umgeben, verfangt, so kann er nicht sobald wieder heraus, fährt 
von Felswand zu Felswand, und rührt den See zu Ungeheuern 
Wogen auf. So war's auch jetzt. Da wandte sich einer von 
den Schiffern zum Landvogt, und sprach: „ihr seht eure und 
unsre Noth, o Herr, und daß wir Alle am Rande des Todes 
schweben. Nun aber ist der Tell ein starker Mann, und weiß ein 
Schiff zu steuern; wie? wenn wir ihn jetzt gebrauchten in der 
Noth?" — Da sprach der Vogt zu ihm: „Tell, getrautest du'6
	        
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