aufgewachsen war, viele Lehrstunden mit ihm getheilt, und oft
ihn übertroffen hatte, herzlich lieb. Guilford war nur Ein Jahr
alter, und nie war Jugend und Unschuld in einem Brautpaare
schöner erschienen. Bald darauf starb der junge König.
Sogleich reisten ihr Vater, der Herzog von Suffolk (sprich
Suffok), und der Herzog von Northumberland nach ihrem stillen
Landsitze, wo sie sich mit den Wissenschaften beschäftigte, und
kündigten ihr auf ihren Knieen — so wollte die Sitte — ihre
Erhebung als Königin an. Im ersten Augenblicke war sie be¬
troffen; als sie sich gefaßt hatte, bot sie alle Beredtsamkeit auf,
um die angebotene Würde, die ihr nicht gebühre, von sich abzu¬
lehnen. „Der Schwester Eduards," sprach sie, „nicht mir,
kommt der Thron zu. Ungeachtet meiner Jugend bin ich alt
genug, um die Wechsel des Glücks zu kennen, und habe in
Katharina von Aragonien und Anna Boleyn warnende Beispiele.
Auch fühle ich mich zu schwach für eine solche Würde, und
möchte meine Freiheit und meine Ruhe nicht gegen goldne Fes¬
seln vertauschen. Wer mich wahrhaft liebt, wird mich nicht
Stürmen aussetzen wollen, die unvermeidlich sind."
Aber Vater, Schwiegervater und Gemahl stürmten mit
Bitten auf sie ein. Endlich ergab sie sich. Als sie in London
einzog, tönte ihr nirgends ein Freuderuf entgegen; denn allge¬
mein war Northumberland verhaßt. Mit schwerem Herzen stieg
sie, wie das gewöhnlich war, i>n Tower ab, und wurde in
London als Königin ausgerufen. Indessen wuchs im Lande der
Aufruhr. Immer größer ward der Anhang der durch Heinrichs
VIII. Testament ernannten Maria. Mit schwerem Herzen zog
Northumberland mit einem Heere gegen sie aus. Als er durch
die Straßen von London zog, sprach er seufzend zu einem seiner
Begleiter: „Viele kommen herbei, uns zu sehen; aber ich höre
nicht Einen rufen: Gott stehe euch bei!"
Kaum war er fort, so erklärte sich auch London für Marien.
Johanna war kaum eine Woche Königin, als sie das Jauch¬
zen des herbeiströmenden Volks vernahm, und leichenblaß kün¬
digte ihr ihr Vater an, daß Alles verloren sey. Mit großer
Ruhe hörte sie ihn an, und sprach: „Viel freudiger steige ich
vom Throne herab, als ich ihn angenommen habe. Meine
willige Lossagung mag nun gut machen, was Andre verschul-