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Lherließ sich Tiberius den schändlichsten Lastern, und
nahm an den Staatsgeschäften nur so vielen Antheil, als
ihn Sejan nehmen ließ, der sich auf dieser Reise vollends
in seiner Gunst befestigte, da er ihm einmahl das Leben
mit Gefahr feines eigenen rettete. Doch je mehr die
Macht des Günstlings zunahm, desto mehr brütete in
seiner Seele der Verrath und das Verlangen, den Thron
selbst zu besteigen. Der einzige Sohn des Kaisers starb
am Gifte, das ihm seine eigene Gemahlin» Livilla,
von Sejan dazu verführt, beygebracht hatte. Die von
Drusus Germanicus hinterlassene Mittwe Agrippina
(,Enk-Iinn des Augnstuö), und ihr ältester Sohn, Nero¬
wurden verwiesen, ihr zweiter Sohn Drusus aber, für
einen Feind des Staates erklärt und in enge Verwahr
gebracht. Da gab endlich die bejahrte Mutter des Ger¬
manicus dem Kaiser Aufschluß über seinen Liebling, und
Tiberius beschloß seinen Tod. Macro ward zum Ober¬
sten der Garde ernannt und nach Rom geschickt, wo er
dem Senat ein Privatschreiben des Kaisers überreichte.
Sogleich spricht der Senat das Todesurtheil über den
gefürchteten und gehaßten Sejan, und nach seiner Hin¬
richtung ist sein Leichnahm noch drey Tage lang ein Ge¬
genstand der Rache des erbitterten Volkes. Tiberius aber
wurde nun noch grausamer; und seine ganze übrige Re¬
gierung enthält fast nichts, als Beweise seiner Unmensch¬
lichkeit. Der Tod selbst war bey ihm eine Gnade. Deß-
wegen ließ er die unglücklichen Sch<achtopfer oft. vor der
Hinrichtung auf's ärgste martern, oder nach langem Ge¬
fängnisse zuletzt verhungern. Dieses letztere Loos ward
auch der Agrippina mit ihren Söhnen zu Theil.
Tiberius, obgleich von Ausschweifungen erschöpft,
und von Gewissensqualen abgeänstiget, erreichte dennoch
ein Alter von 78 Jahren. Alles wartete sehnlich auf das
Ende seines Lebens. Als ihn daher einmahl eine Ohn¬
macht befiel, die man für seinen Tod ansah, war überall
große Freude. Aber er erwachte wieder. Da bedeckte