Full text: Die Geschichte der Deutschen

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ab, namentlich auf solchen Weiden, die sehr abschüssig sind und Plötzlich an einer 
schmalen Felswand enden. Da gleitet wohl bei nassem Wetter eine Kuh aus und 
stürzt den schroffen Abhang hinunter. Mit dem Hirten hat die Heerde die Sehn¬ 
sucht nach den Bergen gemein. Hören die Thiere, daß die Glocken wieder hervor¬ 
gesucht werden, so wist ihnen die dumpfe Stallluft nicht mehr behagen und das 
getrocknete Gras nicht mehr schmecken. Sie werden ungeduldig und können den 
Augenblick kaum erwarten, wo die schwere Kette vom Halse fällt. Mit fröhlichen 
Sprüngen und freudigem Jauchzen verlassen sie das Dorf und eilen den Bergen zu, 
wo ihr Führer Freud' und Leid mit ihnen theilt. Wie unter allen Völkern nur der 
Araber es verstanden hat, die edlen Eigenschaften eines Pferdes zu entwickeln, so ist 
es auch nur den Hirten der Alpen gelungen, ihren Thieren einen Charakter zu ver¬ 
leihen, wie wir ihn sonst nicht wiederfinden. 
91. Das Hospi; auf dem St. Bernard. 
Der große St. Bernhard ist ein zu den Alpen gehöriger Berg und liegt zwi¬ 
schen der Schweiz und dem italienischen Königreiche Sardinien. Ueber diesen Berg 
zwischen seinen beiden über 10,001» Fuß hohen Spitzen führt eine Straße aus dem 
deutschen Rhonethal nach Italien. Der höhere Theil dieser Alpenstraße zieht sich 
durch ein enges, schauerliches Felsenthal, und auf der Höhe des Ueberganges steht 
7500 Fuß über der Meeresfläche und noch auf schweizerischem Boden ein Kloster, 
die am höchsten gelegene Menschenwohnung in der Schweiz. Die Gegend um das 
Kloster ist sehr rauh, der Schnee bleibt 8 bis 9 Monate lang liegen, und selbst in 
den wärmsten Sommermonaten friert es fast jedesmal gegen Morgen. Hier woh¬ 
nen 10 bis 12 Mönche, deren einziges Geschäft es ist, die Reisenden unentgeldlich 
zu bewirthen und ihnen alle Hülfe angedeihen zu lassen. _ In den Monaten, in 
welchen Schnee, Nebel, Ungewitter und Lawinen den Weg gefährlich machen, streifen 
die Mönche, oder ihre Diener täglich umher, um Verirrte aufzusuchen, oder im 
Schnee Versunkene zu retten. Schon viele Jahre her 'bedienen sie sich zur Rettung 
der Unglücklichen auch besonders abgerichteter Hunde, welche entweder allein aus¬ 
gehen, oder die Mönche begleiten. Sobald einer derselben einen Verunglückten aus¬ 
gewittert'hat, kehrt er im schnellen Laufe zu seinem Herrn zurück und giebt durch 
Bellen, Wedeln und unruhige Sprünge seine gemachte Entdeckung kund. Oft hängt 
man diesen Hunden ein Fläschchen mit Branntwein, oder andern stärkenden Ge¬ 
tränken und ein Körbchen mit Brod um den Hals, um es einen schwachen ermüde¬ 
ten Wanderer, der nicht weiter konnte, zur Erquickung und Stärkung darzubieten. 
Bekannt ist unter diesen Hunden einer Namens Barry, der 12 Jahre lang unermüdet 
war im Dienste der Menschheit und allein mehr als 40 Menschen gerettet hat. 
Der Eifer, den er hierbei bewies, war außerordentlich. Sobald gefährliche Witte¬ 
rung sich einstellte, hielt ihn Nichts mehr iin Kloster zurück, sondern er strich rastlos 
und bellend umher, um einen Sinkenden zu erfassen, oder einen Verschneieten her¬ 
vorzuscharren. Einen erstarrten Knaben beleckte er so lange, bis derselbe zu sich kam 
und sich ihm endlich auf den Rücken schwang. Als er alt geworden war, sandte 
ihn der Prior nach Bern, um für den Rest seiner Tage ihm Ruhe zu gönnen. 
Nach seinem Tode wurde seine Hülle ausgestopft und in dem Museum der Natur¬ 
geschichte zu Bern aufgestellt, wo ihn jeder Reisende noch bis auf den heutigen Tag 
mit seiner Flasche und seinem Halsbande sehen kann. Die berühmten Hunde vom 
St. Bernhard sind jetzt im Aussterben; auf dem St. Bernhard selbst und auf dem 
Siinplon-Kloster sind sie bereits ausgestorben, und nur im St. Gotthard-Kloster- 
leben noch zwei Exemplare. Die ersten Hunde dieser Race erhielt das Kloster auf 
dem St. Bernhard von den Pyrenäen, wo dergleichen gegenwärtig zu Wolfs- und 
Bärenjagden verwandt werden, als Geschenk eines spanischen Edelmannes. Seit 
einiger Zeit sind sie durch Hunde aus Leonberg in Würteinberg ersetzt worden. Der 
dortige Stadtrath Heinrich"Essig, der dem St. Bernhard-Kloster ein Paar seiner 
Hunde geschenkt hat, hat nun auch dem Gotthard-Kloster ein Paar zugesandt, da 
deren Spürkraft dem feinen Geruch der alten bernhardiner Hunde nichts nachzieht. 
— Merkwürdig ist, daß die Leichen der Verunglückten viele Jahre in einer dazu 
bestimmten Halle ausgestellt bleiben können, ohne zu verwesen, oft ohne nur im 
mindesten entstellt zu sein. — Auf der Ostseite des Klosters steht die kleine hübsche 
Kirche, worin sich das Denkmal eines in der Schlacht bei Marengo gebliebenen 
französischen Generals befindet. Denn vor jener Schlacht war der Kaiser Napoleon
	        
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