Von Theodosius bis Muhamed. 59 
Hilfsvölker zu Erreichung ihrer selbstsüchtigen Absichten 
herbeiriefen. 
Und gerade jetzt, bei dem immerwahrenden An¬ 
drange barbarischer Völker, war Einheit nöthig; 
denn nur durch festesZusam men halten des Ganzen 
konnte die Selbstständigkeit des Einzelnen gerettet 
werden. Nicht so dachten die beiden Minister; jeder ju¬ 
belte, wenn über des andern Länder Unglück einbrach. 
Diese Entzweiung brachte endlich dem west-römischen 
Reiche den Untergang. 
Schon unter der Regierung des Honorius hatten die 
Barbaren große Lander an sich gerissen. Gallien, 
Spanien, Britannien waren verloren; Italien fast 
der einzige Rest des abendländischen Reiches. Später 
folgten sich elende Schattenkaiser in schnellem Wechsel. 
Die meisten von ihnen waren von den Barbaren abhän¬ 
gig, und wurden nach Willkühr derselben erhoben, be¬ 
schirmt, gestürzt. 
Endlich waren die Barbaren des Schattenspieles 
eines west-römischen Reiches überdrüßig. Odoaker, der An¬ 
führer der Heruler und Rugier, rdie den Römern als 
M i e th v ö l k e r dienten, setzte den l c tz t e n K a i s e r R o m u- 470 
lus Augustulus ab, und gründete, von den Seinigen 
zum Könige gewählt, das erste deutsche Königthum 
in Italien. 
Romulus Augustulus, der durch ein sonderbares 
Spiel des Zufalles den Namen des Erbauers der Stadt 
Rom, und des ersten römischen Kaisers führte, wurde 
wegen seiner Jugend und Unschädlichkeit am Leben gelassen, 
und starb vergessen im Privatstande. So war also das 
west-römische Reich nach einer Dauer von 1259 Jahren 
(754 vor —476 nach Ehr.) selbst dem Namen nach zu 
Grunde gegangen. 
tz. 74. Das ost-gothische Reich. 
Aber Odoakers Herrschaft war von kurzer Dauer. 
Schon nach 17 Jahren verlor er sein gestohlenes Reich an 47g 
die Ost-Gothen. Dieses Volk hatte sich nach Attilas 
Sturz mit Erlaubnis; des griechischen Kaisers Zeno in 453 
Pannonien (Ungarn) niedergelassen. Jetzt gelüstete cs die463 
Ost-Gothen nach dem Besitze des schönen Italiens.