110
da er es mit Gewalt nicht hatte nehmen können. Während der
Belagerung durchstreiften die Gallier hordenweise plündernd und
raubend die ganze Umgegend. Einen ihrer Naubzüge überfiel
Camillus von Ardea aus mit einer Freischar, die er um sich ge¬
sammelt hatte und hieb ihn gänzlich nieder. Hiedurch wurde
der gebrochene Muth der Römer wieder geweckt; und die Römer
zu Veji wählten den Sieger zum Dictator. Er glaubte indessen,
daß die höchste Gewalt nur denen zustehe, welche das Capitol
vertheidigten und hielt ihre Einwilligung für nothwendig. Da
schwamm ein junger Plebejer, der kühne Pontius Cominius, in
einer finstern Nacht die Tiber hinab zur Stadt, erstieg au einer
nicht bewachten Stelle glücklich die schroffe Felsenhöhe, und kehrte
eben so glücklich mit der Genehmigung der Wahl vom Capitol
zum Heere zurück, dessen Größe und Muth mit jedem Tage
wuchs. Jndeß bemerkten die Gallier bald die Spuren des Hin¬
aufgekletterten. Jetzt wollten auch sie an derselben Stelle das
Capitol ersteigen und wählten dazu eiue mondhelle Nacht. Be¬
reits hatten sie die Zinne des Felsen erstiegen, als plötzlich die
der Juno geweihten Gänse ein Geschrei erhoben, daß der Con-
sular Manlius Capitolinus -) davon erwachte. Er auf und da¬
hin und stieß mit seinem Schilde den vordersten der Gallier
jählings den Felsen hinab, so daß dieser im Fallen die ganze
Kette der Nachkletternden mit sich in die Tiefe hinabriß. So
war das Capitol für den Augenblick wohl gerettet, die Gefahr
jedoch nicht vorüber; denn immer ärger wüthete der Hunger.
Aber auch die Lage der Gallier war immer bedenklicher gewor¬
den. Die Gegend bot keine Nahrung mehr da und war auch
höchst unsicher durch die Streifzüge des Camillus. Hunger und
Pest wütheten unter den des Klimas nicht gewohnten Feinden:
überdies traf sie die Nachricht, daß die Venüter von der Küste
des adriatischen Meeres aus in ihr Land am Fuße der Alpen
eingefallen seien. Brennus war zum Frieden und zum Abzüge
bereit, wenn man ihm ein Lösegeld von tausend Pfund Gold
gebe. Die durch Hungersnoth gedrängte Besatzung ging auf
diesen Vertrag ein. Bei dem Abwägen des Goldes aber ge-
0 Den Beinamen Capitolinus, d. i. der Capitolier, führte Man¬
lius von seiner Wohnung auf dem Capitol.