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Aus ihres eig'nen Tempels Schwelle
Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt
Sich dreist in jene Menschenwelle,
Die dort sich zum Theater drängt.
Denn Bank an Bank gedränget sitzen
(Es brechen tast der Bühne Stützen),
Herbeigeströmt von fern und nah',
Der Griechen Völker wartend da,
Dumpf brausend wie des Meeres Mögen;
Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau,
In weiter stets geschweiftem Bogen,
Hinauf bis in des Himmels Blau.
Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammen kamen?
Von Theseus Stadt, von Aulis Strand,
Von Phocis, vom Spartanerland,
Von Asiens entleg'ner Küste,
Von allen Inseln kamen sie,
Und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores grauser Melodie,
Der streng und ernst nach alter Sitte,
Mit langsam abgemess'nem Schritte,
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine ird'schen Weiber!
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch über Menschliches hinaus.
Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
Sir schwingen in entfleischten Händen
Der Fackel düsterrothe Glut,
In ihren Wangen fließt kein Blut.
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenstirnen freundlich weh'n,
Da sieht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwoll'nen Bäuche bläh'n.
Und schauerlich gedreht im Kreise,
Beginnen sie des Hymnus Weise,
Der durch das Herz zerreißend dringt,
Die Bande um den Sünder schlingt.
Besinnungsraubend, herzbethörend
Schallt der Erinnyen *) Gesang,
Er schallt, deö Hörers Mark verzehrend,
Und duldet nicht der Leier Klang:
„Wol dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nah'n,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
Des Mordes schwere That vollbracht;
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht!
') Furien, Göttinnen des Fluchs und der Strafe.