Full text: Geschichtliches Lesebuch

VII. v. Treitschke, Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland. 85 
hatte. Der größte Teil seines weiten Gebiets sah sich also allein 
auf den Wagenverkehr angewiesen, und die Kosten der Verfrachtung 
auf der Achse stellten sich auch auf den neuen Chausseen noch so hoch, 
daß umfängliche, schwer ins Gewicht fallende Waren, Steine, Kohlen, 
Holz, selbst das Getreide im Binnenlande nur auf kurze Entfernungen 
versendet werden konnten. Das reiche Leipzig entbehrte noch immer 
der Bürgersteige, weil man die schweren Granitplatten aus den ent¬ 
legenen Steinbrüchen nur zu unerschwinglichen Preisen herbeizuschaffen 
vermochte. Was frommten der Landwirtschaft die befreienden Agrar¬ 
gesetze, was der Zollverein, so lange ihre Erzeugnisse vom großen 
Verkehre fast ausgeschlossen waren? Durch die Fortschritte der Technik 
war der Landbau längst zu einem kunstreichen Gewerbe geworden; 
und der Sachse F. G. Schulze vertrat bereits die Meinung, die der 
alte Thaer noch bekämpft hatte, daß der große Landwirt akademischer 
Bildung bedürfe. . . . Gleichwohl konnte die durchgebildete Arbeits¬ 
teilung des Großbetriebs in die Landwirtschaft noch nicht recht ein¬ 
dringen. Jedes große Landgut bildete gleichsam einen isolierten Staat, 
der durch wohlberechneten Fruchtwechsel, durch die Verbindung von 
Ackerbau und Viehzucht die verlorenen Bodenkräfte stets selber neu 
zu erzeugen suchte. Für den großen Markt zu arbeiten, einzelne 
Zweige der Landwirtschaft mit virtuoser Einseitigkeit zu pflegen und 
die Dungstoffe von auswärts herbeizuschaffen, schien selbst dem unter¬ 
nehmenden Grundherrn unmöglich wegen der hohen Frachtkosten. 
Und wie dürftig, eng, kleinstädtisch blieb noch immer die In¬ 
dustrie, trotz der besseren Zeiten. Art Stahl erzeugte ganz Preußen 
im Jahre 1826 nur 62000 Ctr., an Gußstahl 1832 gar nur 94 Str. 
Schienen und andere Eisenwaren, die nur mit Coaks hergestellt werden 
konnten, kamen aus England, weil die deutschen Werke meist mit den 
Holzkohlen aus den nahen Waldungen heizten und die Fracht für die 
Steinkohlen nicht zu zahlen vermochten. Von Westfalens mächtigen 
Steinkohlenlagern wurde, wieder wegen der Frachtkosten, nur ein 
kleiner Teil ausgebeutet. Im Bochnmer Revier waren 130 Gruben 
im Betrieb, 400 ruhten; so rechnete 1833 Friedrich Harkort, der be¬ 
liebte Volksmann Westfalens. Harkort selbst leitete in Wetter an der 
Ruhr, Aston in Magdeburg eine große Maschinenfabrik. Jedoch im 
Jahre 1837 besaß Berlin erst 29 Dampfmaschinen mit 392 Pferde¬ 
kräften, ganz Preußen ihrer 419 mit 7355 Pferdekräften; das Wagnis 
der kostspieligen Anschaffung erschien auch mutigen Gewerbtreibenden 
oft zu groß. Da und dort versuchte man schon eine Gewerbeaus-
	        
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