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konnte. Während sie so gehindert wurde, ihre Produktiv¬
kräfte zu entfalten, steigerte die absolute Monarchie ihre An¬
sprüche an den Geldbeutel der Bourgeoisie in beispiellosem und
für die damaligen Verhältnisse unerhörtem Maße. Die fran¬
zösischen Könige verstanden je länger je weniger die bürgerliche
Seite der absoluten Monarchie zu erkennen; sie ließen sich ganz
und gar von den feudalen Ständen, dem Adel und der Geist¬
lichkeit, einsangen und trieben eine höfische Verschwendung, die
den französischen Staat bis an den Rand des Bankerotts
brachte.
Um diesem Bankerott zu entgehen, war das Königtum
gezwungen, im Frühjahr 1789 die Generalstände einzuberufen,
Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und der Bourgeoisie.
Aber in ihnen hatte die Bourgeoisie bereits ein solches Ueber-
gewicht, daß sie die feudal-ständische Körperschaft sehr bald in
eine bürgerliche Nationalversammlung zu verwandeln ver¬
stand, wobei ihr freilich Spaltungen innerhalb des Adels und
der Geistlichkeit trefflich zu statten kamen. Es ist ja eine alte
Erfahrung, daß reaktionäre Klaffen und Parteien, je jnehr sie
innerlich verfallen, sich um so mehr äußerlich zerklüsten, wo¬
durch den revolutionären Parteien ihr Vormarsch regelmäßig
erleichtert wird. Die Nationalversammlung räumte in der
Nacht vom 4. auf den 5. August 1789 mit allem feudalen und
zünftlerifchen Moder auf, mit der Leibeigenschaft, den Herren¬
gerichten, den Zehnten, den Stolgebühren, der Käuflichkeit der
Aemter usw.
Diese Nacht ist in der Geschichte berühmt, und insoweit
verdient sie diesen Ruhm auch, als sie binnen weniger Stunden
einen Schutt beseitigte, dessen Wegräumung in Deutschland
nicht weniger als sechzig Jahre beansprucht hat. Dagegen ist
es unrichtig, von dem „Opfermut" zu sprechen, den die bevor¬
rechteten Stände in der Nacht des 4. August bekundet haben
sollen. Sie gaben nur preis, was Hunderte von Bauernauf¬
ständen, die im Sommer 1789 durch das Land tobten,
gänzlich zertrümmert hatten, und sie taten es nur, um sich
wenigstens einen Anspruch auf Entschädigung zu retten.
Freilich reichten die Bauern allein nicht aus, der Bour¬
geoisie den Sieg zu sichern; sie waren zu zerstreut, zu wenig
organisiert, zu weit von Paris entfernt, wo die politischen Be¬
wegungen sich konzentrierten, um bei plötzlichen Entscheidungen
eingreifen zu können. Die Hauptlager der Revolution wurden
so die Pariser Vorstädte, hier waren die rücksichtslosesten und
tatkräftigsten Elemente des Landes, die nichts mehr zu ver-