4. Das Meer im Leben der Völker.
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Punkt aus beherrschten Orbis Terrarum der Zeit in sich begriff. Das Meer hielt das
Weltreich zusammen. Die Herrschaft über die Wasserwege, ihre in großen Zügen
geregelte Benutzung für die Versorgung des Mutterlandes und für den Weltverkehr,
das heißt für die Verbindung Roms mit allen peripherisch an den Küsten gelegenen
Emporien des Handels und Ausgangspunkten der ebenfalls wohlorganisierten Land-
wege, dazu der Schutz, den eine Kriegsflotte den Handelsschiffen gab — das war es.
neben der staatsmännischen Kunst der Römer uud den wirksamen Maßregeln zur
Verbreitung ihrer Sprache und Kultur als Weltsprache und Weltkultur, was der
Macht ihre lange Dauer gesichert hat.
Die Gunst natürlicher Verhältnisse hat für sich allem ihre spontane Benutzung
für deu Seeverkehr nicht zur notwendige,: Folge gehabt. Oft bedurfte es äußerer
Impulse, um sie den Bewohnern zum Bewußtsein zu bringen und diese zu Taten
anzuspornen. Zu aller Zeit hatte die Iberische Halbinsel ihre wunderbar günstige
Lage, indem ihre Küsten sich nach dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean
öffnen und die Straße zwischen beiden beherrschen. Aber mit Ausnahme der katala-
nischen Küste verstanden ihre Bewohner aus sich heraus nicht, daraus Vorteil zu
ziehen. Die Halbinsel wurde großenteils von anderen Mächten beherrscht, bis sie
als Provinz des Römischen Reiches dessen Sprache und Kulturelemeute annahm.
Und doch besaß sie an der galizischen Riasküste wahrscheinlich schon früh eine unter-
nehmende Fischerbevölkerung. Aber erst als Portugal, angespornt durch einen weit¬
blickenden königlichen Prinzen, mit langsamen Schritten seine Schiffahrt an der
afrikanischen Westküste ausdehnte, um dann in schnellem Sprung den Arabern die
Alleinherrschaft über den indischen Handel streitig zu machen, unb als dem spanischen
Hof das außerordentliche Glück erwuchs, daß ihm durch den großen Genuesen der
Wert der Seewege für ungemessene Ausdehnung des Besitzes durch eine weltbe-
wegende Tat zu klarem Bewußtsein gebracht wurde, erstände» beide Reiche als
seebeherrschende Weltmächte.
Nach der Festsetzung der Scheidelinie durch den Papst befanden sich Spanien
ganz, Portugal zum Teil in der glücklichen Lage, welche sich weder vorher noch nachher
einer anderen Nation so vollständig geboten hat, daß sie die Seewege ohne Konkurrenz
benutzen durften; denn noch wurden diese von keinem anderen Staat begehrt. Un-
gehindert konnten sie auch von den Ländern, welche sie entdeckten, Besitz nehmen,
da sie für europäische Begriffe herrenlos waren. Wenn auch Portugals Glanzperiode
nur ein Jahrhundert währte, so zeigt sie doch, wieviel ein kleines Land und eine
geringe Volkszahl in der Ausdehnung und Besiedelung des Kolonialbesitzes durch die
Seewege zu tun vermag. Eine nachhaltigere Dauer hat das spanische Weltreich
gehabt. Seine Signatur ist die Ausbreitung eines römischen Idioms und einer an
die römische Kirche sich kettenden Form der Kultur über die Meere hin nach weit-
gedehnten Festlandsgebieten. In allen hat diese Kulturform ihren Bestand gewahrt, auch
nachdem der politische Zusammenhang in allmählicher Abgliedernng längst gelöst war.
An ein kleines, durch Stromentwickelung ungemein bevorzugtes, aber mit wenig
günstiger Küste versehenes Heimatland knüpft die glanzvolle Seebeherrschung der
Holländer an. Das spanische Joch hatte ihnen als hohen Gewinn die Einsicht in
die Bedeutung der weiten Meeresstraßen gebracht. Nachdem sie ein Jahrhundert
lang ihre in der Fischerei und im Küstenhandel, in der Beteiligung an spanischen
Unternehmungen und in selbständigen Versuchen zur Auffindung einer nordöstlichen
Durchfahrt nach Ostasien erworbene Seetüchtigkeit in den Dienst ihrer Beherrscher
gestellt hatten, waren sie, als das Joch abgeschüttelt war, sofort gewillt und geeignet,