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Freiheitsliebe der Deutschen am schmerzlichsten verwundete. Bisher 
waren sie gewohnt gewesen, durch selbst gewählte Männer nach 
altem Recht und Brauch gerichtet gu werden. Jetzt wurden sie in 
die Schranken eines römischen Lagers vorgeladeu, deren Eingänge 
Soldaten bewachten. Auf einem erhöhten Viereck stand der Richter¬ 
stuhl. Mit langem, pupurbesetztem Kleide angethan, erschien der 
Richter. Ihm voraus schritten zwölf Männer mit Birkenruthen, 
in welchen ein Beil steckte, die Macht ihres Herrn und ihren Beruf 
dadurch ankündigend, Verurtheilte zu züchtigen oder am Leben zu 
strafen. Schreiber, welche die Protokolle aufnahmen, Gerichtsdiener, 
welche die Parteien mit ihren Anwälten und Zeugen vorluden, 
Herolde, welche den Anfang des Gerichts verkündigten, füllten die 
Schranken. In römischer Sprache, die Viele gar nicht verstanden, 
wurde geklagt, vertheidigt und Urtheil gesprochen. Ehrfurchtsvoll 
die Kniee beugend, mußte der Angeklagte vor dem Richter erscheinen 
und ihm die Finger seiner rechten Hand küssen. 
Drei Jahre hatte Varus also geschaltet und gewaltet. Die 
Cherusker fühlten den Druck am schwersten, denn ihr Land belagerte 
Varus mit seinen Legionen. Mit Schmerz mußten sie sehen, daß 
selbst einer ihrer Fürsten, der feige und falsche Segest, der am linken 
Ufer der Weser saß, zum Verräther am Vaterlande ward und vor 
dem Varus im Staube kroch. Verblendet von Herrschsucht, strebte er 
nach einer unumschränkten Gewalt, wie solche bei den Römern ein¬ 
geführt war, und Varus sollte ihm dazu verhelfen. 
Ein zweiter Stamm der Cherusker saß am rechten Ufer der 
Weser. Ihr Fürst hieß Siegmar, sein Sohn Hermann, damals 
ein Jüngling von 22 Jahren, glühend von Vaterlandsliebe, stark am 
Körper, gewandt im Denken, kühn in Entwürfen, besonnen in der 
Ausführung. Seine hohe, schlanke Gestalt, mit dem blonden, wallenden 
Haarwuchs strahlte in den blauen, großen Augen den glühenden 
Römerhaß wieder, der an seinem Herzen nagte, aber auch den tiefen 
Schmerz über die Zersplitterung des Vaterlandes. Er hatte sie 
kennen lernen, diese Römer; mehrere Jahre diente er schon im 
römischen Heere. Um ihn zu gewinnen, hatte man ihn mit Ehren¬ 
bezeugungen überhäuft, ihm das Bürgerrecht und die Ritterwürde ver¬ 
liehen. Sein Herz aber war dem Vaterlande treu geblieben; Tag 
und Nacht sann er, die Schmach vom Vaterlande abzuwälzen, ltnb 
unterstützt wurde er darin von der großen Seele seines Weibes, 
der edlen Thusnelda, einer Tochter des verrätherischen Segest, 
die ganz das Gegentheil ihres Vaters war. Dieser ahnete die 
Pläne, die tief im Herzen des Hermann verborgen lagen, und warnte 
wiederholt den Varus. Dadurch wollte er den Römern nicht nur 
einen Dienst leisten, sein Herz.glühete auch Rache gegen Hermann, 
denn er konnte es diesem nicht vergessen, daß er gegen seinen 
Willen ihm die Thusnelda genommen. Der stolze Varus achtete
	        
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