VI. Zeitraum. Das heil, römische Reich deutscher Nation rc. 83
Staatsverfassung unter den sächsischen und fränkischen
K aisern.
Das Reich wurde nicht mehr wie unter den Karolingern von dem
Könige unter seine Söhne vertheilt, sondern nahm immer mehr den
Character eines Wahlreichs an. Anfangs bestand die Wahl freilich nur
darin, daß die Großen des Reiches die von dem regierenden Könige
getroffene Wahl des Nachfolgers anerkannten. Aber unter Heinrich IV.
erklärten die Fürsten Deutschland förmlich für ein Wahlreich, indem sie
den König selbstständig wählten. Weil die Königswürde mit keinem be¬
sonderen Länderbesitz verbunden war, so sah man bei jeder Königswahl
hauptsächlich mit daraus, daß der Gewählte eine möglichst bedeutende
Hausmacht besaß, damit er seinen Befehlen auch den gehörigen Nach¬
druck zu geben im Stande sei. Zur Wahl eines neuen Königs kamen
die Kurfürsten (küren gleich wählen) in einem großen Lager bei Worms
mit ihrem Gefolge zusammen. Später wurde Frankfurt am Main zum
Wahl- und Krönungsorte bestimnit. — Die Herzoglhümer und Graf¬
schaften wurden während dieses Zeitraumes fast alle erblich. Die Pfalz¬
grafen, als königliche Hofrichter und Kaiueralbeamten in den einzelnen
Provinzen, standen unter der Oberaufsicht der Herzöge, die auch den
Vorsitz in den Provinzial-Versamnrlungen führten. Die königliche Ge¬
walt war durch kein Gesetz beschränkt.
Das Ritterwesen ist aus dem schon bei den Franken üblichen Rei¬
terdienste hervorgegangcn. Seit der Ausbreitung des Lehnswesen durfte
dieser Dienst nur von den Besitzern größerer Lehen geleistet werden.
Durch die Turniere (Kampfspiele) an den Höfen der Könige gelangte
das Ritterwesen zu immer höherer Ausbildung. Durch die nähere Ver¬
einigung der zu gleichem Dienste berechtigter Lehnsbesitzer entstand der
Ritterstand mit den drei Abstufungen: Edelknaben oder Pagen (vom 7.
bis 14. Jahre), Knappen (vom 14. bis 21. Jahre) und Ritter. Die
Aufnahme in den Ritterstand geschah durch den mit besonderer Feierlich¬
keit verbundenen Ritterschlag. Die Ritter waren verpflichtet, die Kirche
und die Schwächeren zu beschützen, das diesen widerfahrene Unrecht zu
rächen, die eigene Ehre unverletzt zu erhalten und gegen die Frauen
ein bescheidenes, höfliches Wesen zu beachten. In den Turnieren kämpfte
man mit ungeschliffenen Waffen; den Sieg entschied das Heben der
Gegner aus dem Sattel; den Dank (ein kostbares Geschenk) erhielt der
Sieger aus der Hand einer vornehmen Frau.
Charakterbilder.
1. Peter von Amiens und der zu seiner Zeit in der
europäischen Christenheit waltende religiöse Sinn.
Zu der Zeit, da in Frankreich König Philipp, in Deutschland Kaiser
Heinrich IV. mit dem Papstthum im heftigen Kampfe waren, brannten
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