II. Zeitraum. Die Völker des Alterthums rc. 11
sie ihm so, daß er sie zur Königin machen wollte. Er suchte zuerst ihren
Mann auf alle Weise zu bewegen, daß er sie ihm freiwillig überließe,
und versprach ihm sogar seine eigene Tochter zur Ehe; doch dieser, aus
Furcht, sein geliebtes Weib würde ihm geraubt werden, gab sich selbst den
Tod. Nun nahm Ninus die Semiramis zur Gemahlin, starb aber bald,
nachdem sie ihm einen Sohn, Namens Ninias, geboren hatte.
Auf diese Weise gelangte Semiramis zur Herrschaft über die Assyrer.
Wie sie von Natur zu großen Entwürfen geneigt war, so strebte sie nun
darnach, ihren Vorgänger noch an Ruhm zu übertresfen. Sie versammelte
daher Künstler und Arbeiter aus ihrem ganzen Reiche und ließ am Euphrat
die Stadt Babylon bauen, welche bald alle Städte der Welt an Größe und
Pracht überragte. Die Mauer war fünfzig Ellen breit und zweihundert
hoch; sie hatte 250 hohe Thürme und 200 eherne Thore. Auch au den
Ufern des Euphrat, der mitten durch die Stadt floß, war ein Wasserthor,
gleichfalls von Erz, und beide Theile der Stadt waren durch eine breite
Brücke von Cedernholz verbunden. Zu beiden Seiten der Brücke waren
herrliche Gebäude aufgeführt: gegen Westen die königliche Burg, gegen
Osten der Belustempel. In der Mitte dieses Heiligthums stand ein
Thurm, durch und durch von Stein und von gewaltigem Umfange; aus
diesem stand ein anderer Thurm, aus diesem wieder ein anderer u. s. w., so
daß acht Thürme übereinander standen. Von außen lief um alle diese Thürme
eiue Wendeltreppe hinauf, mit Ruhebänken versehen, denn man hatte lange
zn steigen, ehe man in den Tempel auf dem obersten Thürme gelangte, und
täglich stiegen Tausende hinan, um dem Gotte zu opfern. Eben so berühmt
war ein anderes Wunderwerk, welches Semiramis neben der königlichen
Burg errichten ließ, die schwebenden Gärten. Um nämlich in deni flachen
Lande auch den Anblick eines schön bewachsenen Berges zu haben, ließ die
Königin eine Menge von starken Schwibbogen erbauen, die sich in geraden
Reihen von unten aus, einer immer höher als der andere, erhoben. Dar¬
über wurde Erde aufgeschüttet von hinlänglicher Tiefe, so daß die größten
Bäume darin Wurzel schlagen konnten. Ein Pumpwerk versorgte diesen
herrlichen Garten mit Wasser, künstliche Bäche schlängelten sich von der ober¬
sten Terrasse hinab bis zur untersten, und das Ganze gewährte einen
lieblichen Anblick
Als Semiramis diese Wunderwerke vollendet und noch viele andere
Städte im Lande Babylonien erbaut oder verschönert hatte, wollte sie ihren
Ruhm auch durch Kriegsthaten vermehren. Sie beschloß daher, gegen das
Volk der Inder, welches im äußersten Südosten Asiens jenseits des Flusses
Indus wohnte und sehr groß und mächtig war, zu Felde zu ziehen. Die
Kriegsmacht dieses Volkes war besonders deshalb so gefürchtet, weil es dort
viele große und starke Elephanten gab, die gezähmt und zum Kriege ab¬
gerichtet wurden. Die Thiere selbst richteten schon in den Reihen der Feinde
große Verwüstungen an; außerdem aber trugen sie gewöhnlich einen kleinen
Thurm, der mit Bewaffneten besetzt war, welche von oben herab die Feinde
mit leichter Mühe erlegen konnten. Da nun Semiramis keine Elephanten
hatte, so war sie darauf bedacht, ähnliche Thiergestalten zu bilden, um durch
das Unerwartete dieser Erscheinung die Inder zu schrecken. Sie ließ daher