454 Zweiter Zeitraum.
Der alte König setzte sein Sündenleben fort. Als die Pompa¬
dour gestorben war, nahm die Grasi'nn Dubarry deren Stelle ein,
und beherrschte den Monarchen so sehr, daß er sich unter dem Namen
la France (Frankreich) sogar unter ihre Bedienten aufnehmen ließ,
und ihr den Kaffee kochte. Einmal ließ er ihn überkochen, und sie
fuhr ihn an: «So gib doch Acht, la France! dein Kaffee lauft ja
zum Henker.»
Endlich überraschte ihn der Tod, da er als Greis noch von den
Blattern angesteckt wurde. Sein Körper zerfiel noch lebend schon zum
Theil in Stücke, das Schreien des Kranken konnte Keiner hören, Alle
flohen, auch die Dubarry, nur sein Beichtvater und seine Töchter hiel¬
ten bei ihm aus. Er sprach von nichts, als von dem Feuerpfuhle,
der ihn in der andern Welt erwartete, und Gottes Erbarmen, auf
welches der Geistliche ihn hinwies, tröstete ihn nicht. So verschied er
den 10. Mai 1774. Die Aerzte mochten die Leiche nicht balsamiren,
nach 3 Tagen brachten 10 Gardisten und einige Pagen sie in einer
Jagdkutsche nach St. Denis. Der Kutscher fuhr lustig über Stock
und Stein, und die Bauern an der Landstraße riefen der Leiche
Schimpfwörter nach.
tz. 96.
Der Unglaube in Frankreich.-
Unter Ludwig XIV. und XV. hob der Unglaube in Frankreich
kühn sein Haupt empor, der Patriarch desselben war Voltaire.
Voltaire hieß eigentlich Arouet, und war der Sohn eines
vermögenden Beamten, 1694 geboren. Schon in der Schule machte
er Gedichte, und als er, kaum der Schule entlassen, für ein Gedicht
von der Herzoginn von Richelieu 100 Louisd'or erhielt, schaffte er sich
eine Equipage an, und nannte sich Herr von Voltaire. Da jagte
ihn sein Vater aus dem Hause, und pflegte zu sagen, er habe zu
Söhnen zwei Narren, einen in Prosa (einen Jansenisten) und einen
in Versen. Voltaire war 20 Jahr alt, und seine zügellose Feder griff
bald alles wüthend an, die Religion, die guten Sitten, die Regierung,
die Ehre von Privatpersonen, und weil seine Sprache äußerst gebildet
war, so fand er Leser unter allen Ständen. Dreimal ward er in die
Bastille gesetzt, wiederholt aus Paris verbannt, der Büttel mußte seine
Schriften öffentlich verbrennen, und oft wurde er von Privatpersonen
derbe gezüchtiget. Aber er verschmerzte das, er war berühmt und reich,
und große Männer schätzten es sich zur Ehre, mit Voltaire befreundet
zu seyn. Friedrich II. correspondirte schon als Kronprinz mit ihm,
und 1750 rief er ihn sogar anseinen Hof, und machte ihn zum Kam¬
merherrn mit 3000 Thalern Gehalt. Zu gewissen Stunden des Ta¬
ges mußte er mit dem Könige dessen Schriften durchsehen. Doch nur
ein Jahr dauerte die Freundschaft. Voltaire kränkte durch seinen Witz
alle anderen Freunde des Königs, steckte Abends im Schlosse die^halb
abgebrannten Wachslichte ein, und sagte, er müsse täglich des Königs