Full text: Kleine Weltgeschichte oder Geschichten aus der Geschichte

24 §. U. Kores oder Cyrus, der Perser, 555 v. Chr. 
desselben nannte sich Astyages. Dieser verheirathete seine Tochter 
Mandane an den König des unbedeutenden persischen Landes, in 
Süden von Medien. Mandane's erstgeborner Sohn hieß Cyrus und 
war ein gar munterer, frischer Knabe. Noch war er nicht zehn Jahre 
alt, da brachte ihn die Mutter zum ersten Male zum Großvater, und 
dieser hatte solche Freude an dem hübschen, fröhlichen Knaben, daß 
er ihn bei Tische neben sich setzte. Aber was machte der junge Cyrus 
für große Augen, als er einen Diener nach dem anderen hereintreten 
und eine Schüssel voll Speise nach der anderen auf den Tisch setzen 
sah. „Lieber Großvater," sagte er, „ich bitte Dich, sag' mir doch nur 
einmal, was willst Du denn eigentlich mit der unendlichen Masse 
-von Gerichten? " „Wunderliches Kind," entgegnete der Alte, „die will 
ich essen!" — „Ach Du armer Mann," sagte darauf der Knabe, 
„dann bedaure ich Dich von Herzen. Was hast Du doch für eine 
unsägliche Mühe, um satt zu werden! In Persien wird's uns lange 
so sauer nicht. Da essen wir ein Stück Brod und Fleisch und trinken 
Wasser dazu; dann sind wir fertig und gehen munter wieder an unsere 
Arbeit!" Das hörte Astyages dann ruhig an und meinte, Cyrus ist 
ein Kind; ein Kind spricht kindisch. Dann fuhr er fort: „Nun, 
liebes Kind, vertheile einmal die Speisen." Cyrus that's — dem 
Mundschenk Sakas gab er aber nichts. „Und warum das nicht?" 
fragte ihn Astyages. „Weil der nichts Sonderliches kann," entgegnete 
Cyrus. „Dir den Wein reichen, kann ich besser als Sakas!" „Nun, 
das möchte ich sehen," sagte Astyages, und sogleich reichte ihm Cyrus 
gar zierlich den Becher dar, ohne ihn jedoch zu kredenzen. „Gut 
gemacht! aber Du hast vergessen, vorher zu trinken, ehe Du mir den 
Becher darreichtest," äußerte der Alte. „Davor werde ich mich auch 
schon hüten, es ist Glft im Becher!" war des Knaben Antwort. 
„Was! — was sagst Du? Gift im Becher? Woher weißt Du das?" 
stieß erschrocken Astyages heraus. „Ja gewiß, es ist Gift im Becher," 
erwiederte Cyrus, „ich weiß es genau. Gestern Abend, lieber Gro߬ 
vater, trankst Du auch so viel Wein, und da sprachst Du so kühn 
und sagtest immer: „Ich kann die ganze Welt bezwingen; wer Muth 
hat, komme nur her, ich nehme es mit ihm auf." Und als Du 
aufstandest, warst Du so elend, daß Du nicht einmal stehen konntest, 
sondern fielst immer um und mußtest Dich am Tisch festhalten. Sieh, 
lieber Großvater, da habe ich denn gedacht, daß wohl Gift im Weine 
sein müßte." Darüber lachte der Alte und gewann den Knaben 
immer lieber und behielt ihn bei sich. Cyrus wurde nun in Allem 
unterrichtet, was man damals lehrte: in der Sternkunde, im Reiten, 
im Jagen, im Kriegführen und wurde der Liebling des ganzen 
Volkes. Sein Großvater machte ihn zum Obergeneral aller seiner
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.