. Specielle Geschichte. 889
weiß, dass es da ist, um Gericht zu halten, daher wird viel zerstört,
aber nichts geraubt. „Den Tod, wer stiehlt," diese Worte hatten Leute
aus dem Volke auf Papier geschrieben und an ihre Bajonnette befestigt,
daher waren selbst die kleinsten Schmucksachen vor Dieberei gesichert.
Dagegen nahmen Männer aus dem Volke den Thronsessel, trugen ihn
im Triumphe die Boulevards entlang, über Barrikaden hinweg nach
dem Bastilleplatze und hier verbrannten sie diesen Königssitz unter un¬
aussprechlichem Beifallsjubel. An demselben Tage wurde die Republik
proklamirt. An die Spitze traten Düpont de l'Eure, Lamartine, Ledrü-
Rollin, Cremieur (ein Jude) und außer Anderen noch Albert, ein
Arbeiter.
Jetzt galt es, dem Bürgerkriege Einhalt zu thun, die Rückkehr zur
Ordnung einzuleiten und ganz Frankreich zum Anschlüsse an die Um¬
wälzung zu bestimmen. Obwohl die Glieder der provisorischen Re¬
gierung gewissermaaßen aus ihrer Selbstwahl ihre Stellungen einge¬
nommen und von keiner autorisirten Macht weder ernannt noch bestätigt
worden, so erkannten die Pariser, die Franzosen, geleitet von der Noth-
wendigkeit, die neue Ordnung der Dinge zu unterstützen, wenn nicht
nochmals das entsetzliche Unglück des Bürgerkrieges hercinbrechen sollte,
dennoch die nicht von ihnen ernannten Gewalthaber ohne Weiteres an.
Dieses, in der Geschichte bisher unerhörte Beispiel von Unterordnung
der Parteiansichten unter die Rücksicht auf das allgemeine Wohl, diese
Mäßigung eines siegberauschten Volkes, sind glorreiche Beweise dafür,
dass das Volk reif war zur Republik. An demselben Tage der Ein¬
setzung der provisorischen Regierung verkündigte diese die Abschaffung
der Todesstrafe für politische Verbrechen. Auch die Provinzen
beeilten sich, obgleich in vielen Städten Tumulte entstanden waren, die
neue Regierung anzuerkennen und nirgends zeigte sich eine Spur von
orleanistischer Bewegung; selbst die Prinzen Joinville und Aumale,
Ersterer Commandeur der Marine, der Andere Gouverneur von Alge¬
rien, machten keinen Versuch, Widerstand zu leisten und folgten dem
Vater in's Eril.
Zwei furchtbare Klippen droheten jedoch dem Staatsschifse noch
den Untergang, die Durchführung des socialistischen Systems der
Arbeitsgarantie, und der Geldmangel. Es wurden National¬
werkstätten errichtet, um brotlosen Arbeitern Unterhalt zu verschaffen,
dadurch wurden aber einerseits die Slaatsausgaben in's Ungeheure
erhöht und andererseits die Zahl der bettelnden Proletarier ebenfalls in
besorgnisserregender Weise vermehrt. Die kurze Zeit von vier Mona¬
ten that die Haltlosigkeit dieses Systems dar und Cavaignac schloss die
öffentlichen Werkstätten nach den blutigen Tagen des Juniaufstandes.
Nicht minder trostlos war die finanzielle Lage des Staats beschaffen.
Innerhalb der Jahre 1841—1848 waren durch den Julithron die
Schulden um 912 Millionen Franken gewachsen, obgleich die Ein¬
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