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Poetische Erzählungen etc.
Urahne spricht: „Morgen ist's Feiertag -
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
Was thu ich noch auf der Welt?"
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
Sie hören's nicht, sie sehen's nicht.
Es flammet die Stube wie lauter Licht:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind.
Mer Leben endet ein Schlag —
Und morgen ist's Feiertag.
23. Das Erkennen.
J. N. Vogl.
Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand,
Kommt wieder heim aus dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt:
Von wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt?
So tritt er ins Städtchen, durchs alte Thor;
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund:
Oft hatte der Becher die beiden vereint.
Doch sieh, Freund Zollmann erkennt ihn nicht,
Zu sehr hat die Sonn’ ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter wandert nach kurzem Gruss
Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuss.
Da schaut aus dem Fenster sein Schätzei fromm:
„Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!“
Doch sieh, auch das Mägdlein erkennet ihn nicht,
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter geht er die Strass’ entlang,
Ein Thränlein hängt ihm an der braunen Wang’.
Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her,
„Gott grüss’ euch!“, so spricht er und sonst nichts mehr.
Doch sieh, das Mütterchen schluchzet voll Lust:
„Mein Sohn!“ und sinkt an des Burschen Brust.
Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug’ hat ihn doch gleich erkannt.