Full text: Norddeutsches Lesebuch

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Zeugnissen der heiligen Schrift, oder mit klaren und hellen Gründen überwunden 
werde, so kann und will ich nichts widerrufen. Hier stehe ich, ich kann nicht 
anders, Gott helfe mir! Amen.“ 
Luther hatte nicht vergeblich geredet. Selbst der gestrenge Kaiser sagte: 
„Dieser Mönch spricht unerschrocken und mit getrostem Muthe.“ Der alte Her— 
zog Erich von Braunschweig, sonst ein Feind der neuen Lehre, schickte ihm eine 
silberne Kanne voll Eimbecker Bier, daß er sich damit erquicke. Besonders freute 
sich der Kurfürst Friedrich der Weise über Luthers Freimüthigkeit. „Gar schön,“ 
sagte er am Abend des Verhörs zu einem Vertrauten, „gar schön hat Doctor 
Martinus geredet vor dem Herrn Kaiser und allen Fürsten des Reiches; er ist 
mir nur zu herzhaft gewest.“ Und viele tapfere Edelleute kamen in Luthers Her— 
berge, hießen ihn gutes Muthes sein und sprachen? „Man sagt, sie wollen Euch 
verbrennen; aber das muß nicht geschehen; sie müßten eher alle mit verderben.“ 
Einige Fürsten suchten ihn indessen noch durch gütliches Zureden zum Widerrufe 
zu stimmen; er aber antwortete: „Ist dieses Werk aus Menschen, so wird es 
bald untergehen; ist es aber aus Gott, so werdet ihr es nicht dämpfen können.“ 
Darauf drangen seine heftigsten Widersacher in den Kaiser, er möge dem hart— 
näckigen Ketzer das sichere Geleit brechen und ihn gefangen halten, doch der Kai— 
ser erklärte: „Und wenn in der ganzen Welt keine Treue zu finden wäre, so 
muß sie doch beim deutschen Kaiser sein.“ 
So konnte Luther unter kaiserlichem Schutze von Worms abreisen. Gleich— 
wohl war der Kaiser, der es mit dem Papste hielt, ein heftiger Feind der Lehre 
Luthers. Er erklärte sich entschlossen, alle seine Macht daran zu setzen, dieselbe 
auszurotten. Daher sprach er über Luther und alle seine Anhänger die Reichsacht 
aus Niemand, so hieß es, solle den gottlosen Ketzer hausen, hösen, ätzen und 
tränken; wer ihn finde, solle ihn fangen und zur Bestrafung einliefern. Allein 
Luther war schon in Sicherheit. Sein Kurfürst, Friedrich der Weise, wollte ihn 
nimmermehr der Rache seiner Feinde preisgeben. Daher geschah es auf seine 
Veranstaltung, daß, als Luther auf seiner Heimfahrt in die Nähe von Eisenach 
kam, plötzlich einige verkappte Ritter heransprengten, ihn aus dem Wagen rissen 
und mit ihm davoneilten. Im nahen Walde legten sie ihm Ritterkleider an, setz- 
ten ihn auf ein Pferd und brachten ihn auf ein einsames Bergschloß, die 
Wartburg. 
Alle Welt meinte nun, Luther wäre todt. Seine Feinde sagten: „Den hat 
der Teufel geholt!“ Aber es ging ihm auf der Wartburg ganz wohl. Er hieß 
dort Junker Ibrg, trug einen ritterlichen Waffenrock, ließ sich den Bart wachsen 
und streifte durch den Wald am Schloßberge. Doch war er seines Berufes stets 
eingedenk. „Ich wollte,“ schrieb er, „für die Ehre des göttlichen Wortes lieber 
auf glühenden Kohlen brennen, als hier in der Einsamkeit leben und verfaulen.“ 
Indessen benutzte er diese Einsamkeit treulich, sein Werk zu fördern. Er studierte 
Tag und Nacht und ließ manche kräftige Schrift ausgehen, worin er das Papst— 
thum angriff und seine Widersacher widerlegte. Da merkte denn die Welt wohl, 
daß der Gottesmann noch am Leben sei; aber den Ort konnte niemand erfahren. 
Das Allerwichtigste aber, was Luther auf der Wartburg arbeitete, war seine 
Uebersetzung der Bibel in die deutsche Sprache. Er wußte wohl, daß solche 
Uebersetzung das beste Mittel sein würde, um das Volk zur Erkenntniß zu bringen, 
wie weit die katholische Kirche von ihrer ursprünglichen Einfachheit und Reinheit 
abgewichen sei. Muthig wagte er sich daher an die schwierige Aufgabe, zu wel—
	        
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