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193. Sankt Christoph. 
wenn in der Nacht ein Wanderer erschien und Christoph — 
so nannte man den Riesen späterhin — im tiefsten Schlafe 
lag, so sprang er doch auf den ersten Ruf von seinem 
Lager auf, ergriff einen keulenähnlichen Stock und watete 
durch das kalte Wasser. Und oft beherbergte er sogar 
müde und erfrorene Wanderer in seiner Hütte und teilte 
seine dürftige Nahrung mit ihnen. Diese gewissenhafte Er— 
füllung seiner Pflicht und diese Wohltätigkeit gefielen dem 
lieben Gott. 
Einst in einer finstern, stürmischen Nacht hörte der alte 
Christoph nur leise durch den Wind den Ruf: „Hol über!“ 
wie die Leute, welche übergesetzt sein wollten, gewöhnlich riefen. 
Sogleich machte er sich auf, durchschritt die brausenden 
Wellen und wollte den Rufenden nach gewohnter Weise über— 
setzen. Aber es war niemand zu sehen. Der Alte dachte: 
„Ich muß mich geirrt haben,“ und legte sich ohne Murren 
wieder auf seine Streu. Nicht lange aber, so hörte er aber— 
mals den Ruf: „Hol über!“ und diesmal viel deutlicher. Er 
ergriff zum zweitenmal seinen Stab, durchwatete die immer 
wilder gewordenen Wellen, fand aber wie das erste Mal 
das Ufer leer. „Du mußt dich demnach geirrt haben“, sagte 
der gute Mann zu sich selbst und legte sich wieder geduldig 
nieder. Allein nach kurzem rief es zum drittenmal und 
diesmal ganz deutlich: „Hol über!“ Jeder andere hätte nun 
wohl gedacht: „Ich will mich nicht mehr anführen lassen.“ 
Der große Christoph aber dachte nur an seine Pflicht und 
ging zum drittenmal durch den Fluß. Diesmal fand er 
ein wunderschönes Knäbchen am Ufer, welches übergesetzt zu 
sein begehrte. Er fragte nicht lange: „Woher kommst du? 
Wohin willst du? Hast du schon mehrmals gerufen?“ sondern 
nahm das Kind auf seine Schultern und stieg in den Strom. 
Aber so leicht das Kind anfänglich gewesen war, so schwer 
wurde es ihm auf einmal. Der starke, riesenhafte Mann, 
welcher schon so viele Tausende getragen hatte, konnte nicht 
weiter; er mußte stille stehen und sich auf seinen Stab stützen
	        
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