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Neueste Geschichte.
zigkeit in ihrer ganzen Blöße dargestellt habe, so ist dagegen auch zu beklagen, daß
er manches Herz um das religiöse Gefühl gebracht, in manches Gemüth Zweifel
und Unglauben gepflanzt und kalte Weltklugheit und mit ihr Selbstsucht, Eigenliebe
und Eigennutz als höchste Leiter der menschlichen Handlungen hingestellt hat. —
Montes- Montesquieu, ein ernsterer Schriftsteller, wies das Fehlerhafte und Abge-
1889— schmackte des Bestehenden nach, in der Absicht es zu verbessern und zeitgemäß umzu-
>733. gestalten. In den persischen Briefen bekämpfte er mit demselben leichtfertigen
Spott wie Voltaire den Kirchenglauben und das ganze Lehr- und Regierungswesen
Frankreichs und machte auf ähnliche Weise die Sitten, Lebensformen und gesell¬
schaftlichen Zustände seiner Zeitgenossen durch Witz und Ironie lächerlich. In den
geistreichen Betrachtungen über die Ursachen der Größe und des Ver¬
falls der Römer und ihres Staats suchte er darzuthun, daß Vaterlands¬
liebe und Selbstvertrauen einen Staat groß mache, Despotismus aber denselben
seinem Untergang zuführe. Das dritte Werk: Vom Geist der Gesetze stellt die
I I. constitutionelle Verfassung Englands als die für die heutige Menschheit Pas-
Rousseau sendste Staatsform dar. — I. I. Rousseau, Sohn eines Genfer Uhrmachers,
1778. bekämpfte die bestehenden Zustände durch die reizende Schilderung der Gegensätze.
Nach einer wechselvollen Jugend voll Armuth und Verirrung, die er in seinen „Be¬
kenntnissen" mit seltener Offenheit der Welt dargelegt, kam er durch die Lösung
einer Preisfrage über den Einfluß der Künste und Wissenschaften auf
die Sitten zu der Grundansicht seines ganzen Lebens und Wirkens, nämlich zudem
Satze, daß der hohe Bildungsgrad die Ursache alles Elends und aller Laster der
Menschen sei, daß folglich nur in der Rückkehr zu einem Naturzustand voll Unschuld
und Freiheit und in der Abschüttelung aller Fesseln, welche Bildung, Erziehung
und Gewohnheit geschlagen, die Welt zu Glück und Heil kommen könne. Diese
Grundansicht bildete den Mittelpunkt aller seiner mehr durch Gefühl und reizende
Darstellung als durch Tiefe und Wahrheit ausgezeichneten Schriften. In der
„neuen Heloise", einem in dichterischer Sprache und Briefform verfaßten Ro¬
man, stellt er die Reize eines sentimentalen Naturlebens den verschrobenen Verhält¬
nissen der Wirklichkeit und dem Zwang der Gesellschaft entgegen; im „Emil" suchte
er eine auf Natur und Elternliebe beruhende vernünftige Erziehung zu begründen
und sühnte dadurch die Sünde, die er begangen, als er seine eigenen Kinder ins
Findelhaus bringen ließ. Das in diesem Buch enthaltene „Glaubensbekennt-
n iß eines sa v oy i sch e n V ic ars", worin er im Gegensatz zu dem herrschenden
Kirchenwesen eine Religion des Gefühls und Herzens lehrte und empfahl, zog ihm
Verbannung und Verfolgung zu. In dem „Gesellschaftsvertrag" stellte er
die Gleichheit aller Menschen als Bedingung jedes gut eingerichteten Staats
dar und fand in der völligen Demokratie mit gesetzgebenden Volksver¬
sammlungen die würdigste Verfassung. In allen diesen Schriften find neben
vielen Grundirrthümern und verführerischen Irrlehren goldene Wahrheiten enthal¬
ten. Seine Worte sind der Ausdruck eines tiefen innern Gefühls und gehen zu
Herzen weil sie von Herzen kommen. Die Wirksamkeit seiner Schriften war uner¬
meßlich, und alle Orte, die sein Fuß betreten oder wo er als verfolgter Flüchtling
sich ausgehalten, wurden von dem kommenden Geschlechte mit Verehrung betrachtet.
Sinn für Natur, Einfachheit und Häuslichkeit wurde durch Rousseau in Frankreich
geweckt, aber auch eine heftige Sehnsucht nach dem gepriesenen Urzustand der Frei¬
heit und Gleichheit erregt, die nur durch Zerstörung der bestehenden Einrichtungen
und Verhältnisse gestillt werden konnte.
§. 453. Der Einfluß dieser Männer auf die Denkart von ganz Europa
war um so größer, als damals Paris in allen Dingen den Ton angab, als die
französische Sprache und Literatur in den höher» Kreisen allein gesprochen und