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Geschichte der alten Welt.
§* 83. Durch die kühnsten Märsche über das schneebedeckte Hindukuhge-
329.328.birge (indischen Kaukasus), wo die Soldaten dem Hunger und der Anstren¬
gung beinahe erlagen, gelang es dem kühnen Eroberer, sich in den Jahren
329 und 328 der Gebirgöländer im Südosten des kaspischen Meeres zu be¬
mächtigen und durch Anlegung von Heerstraßen zugänglich zu machen. Sein
hoher Geist war nicht blos auf Krieg und Eroberung, sondern auch auf Civi-
lisirung der wilden Bewohner gerichtet. Bier neugegründete Städte, nach sei¬
nem Namen Alerandria genannt, wurden fortan der Mittelpunkt des Ka-
ravaneuhandels und verbreiteten griechische Bildung, Sprache und Kunst im
fernsten Osten. Bei Erstürmung eines festen Bergschlosses nahm er die schöne
Fürsteutochter R orane, „die Perle des Morgenlandes", gefangen und machte
sie zu seiner Gemahlin.
§. 84. Obgleich die Macedonier wiederholt ihre Unzufriedenheit über die
unbegrenzte Eroberungssucht ihres Gebieters kund gegeben, so zog doch Alexan¬
der weiter, um auch die sagen- und wunderreichen Länder am Indus zu un¬
terwerfen. Aber die streitbaren, von ihren Büßern und Priestern angefeuerten
Bewohner des nördlichen Indiens setzten ihm einen kräftigern Widerstand
entgegen, als die feigen Unterthanen des Perserkönigs. Mehr als einmal
schwebte bei Erstürmung der festen Burgen Alexanders Leben in der höchsten
Gefahr. Die Feindschaft der einheimischen Fürsten gegen einander erleichterte
den Macedoniern die Einnahme des Fünfstromlandes. Einige von ihnen ver¬
banden sich mit Alexander gegen Porus, den mächtigsten dieser Fürsten jen-
326. seits des Hydaspes (Dschelum). Der Uebergang über diesen Fluß im Ange¬
sicht des Feindes und die darauf folgende Schlacht, in welcher der tapfere Po¬
rus verwundet und gefangen wurde, gehören zu den größten Kriegsthaten des
Alterthums. Zwei nengegründete Städte, Bueephäla (Alexanders gefalle¬
nem Schlachtroß zu Ehren) und Nicäa (Siegesftadt) sollten auch in diesen
Ländern griechische Bildung verbreiten. Auf beschwerlichen Märschen zog er
dann immer weiter nach Osten bis zum Hyphasis und traf bereits Anstalten,
die reichen Gangesländer seinem Weltreiche beizufügen. Da murrten aber die
Macedonier so laut, daß Alexander, wiewohl mit innerm Widerstreben, den
Rückzug antrat. Zwölf steinerne Altäre am Ufer des Flusses bezeichneten das
östliche Ende der Eroberungszüge. Nachdem er dem Porus und den andern
indischen Fürsten ihre Länder unter macedonischer Oberhoheit zurückgegeben,
fuhr er den Indus hinab, um einen andern Rückweg zu suchen. Aber dieses
Unternehmen schlug zum Verderben aus. In der schauerlichen Wüste von Ge¬
trosten gingen in zwei Monaten drei Viertheile des Heeres zu Grunde. Die
heldenmüthigen Krieger, die in so mancher Schlacht dem Schwert und der
Lanze getrotzt, erlagen in der dürren, wasserlosen Einöde theilS den Qualen des
Mangels und der Anstrengung, theils den Leiden des Klima's, der stechenden
Sonne, dem glühenden Staube, dem nächtlichen Froste. Edelmüthig theilte
Alexander alle Beschwerden und Gefahren mit dem Geringsten seines Heers
und belohnte die Geretteten in der reichen Oasenstadt Pura durch Geschenke
und Feste, wobei der Genuß eben so übermäßig war, wie vorher die Entbeh¬
rung. Mit Vorräthen reichlich versehen, durchzogen sie sodann gefahrlos das
bevölkerte Karamanien.
§. 85. Nach seiner Rückkehr entließ Alexander die Veteranen (alten
324 Soldaten) reich beschenkt in die Heimath, bestrafte die ungetreuen Statthalter
und Beamten, die während seiner Abwesenheit arge Frevel und Bedrückungen
geübt hatten, und verfolgte dann eifrig den Plan, die überwundenen Völker
den Ueberwindern zu nähern und zu einer einzigen Nation mit griechischer Bil-