Die Kirche. Die Kreuzzüge und ihre Folgen. 8 179. 111
§ 179. So war die Kirche ohne Zweifel in dieser ihrer besten und
größten Zeit eine wohlthätige Macht für die Völker; kein Wunder, daß diese
ihr anhingen. Am vollsten offenbarte sich der Einfluß der Hierarchie, d. i.
die kirchliche Herrschaft, in den Kreuzzügen. Es war im Jahre 1094, als
Peter der Einsiedler aus Amiens im nördlichen Frankreich das heilige
Grab besuchte. Er sah die Schmach und Bedrängniß, welche die Christen hier
erlitten, seit die Türken (1073) Jerusalem der Hand der milderen Araber ent¬
rissen hatten. Als er, Tags vor seiner Abreise, am Grabe des Herrn betete,
war's ihm, als ob dieser selbst ihm erschiene und ihm beföhle, die Christenheit
aufzufordern, sein Grab zu befreien: nach Europa heimgekehrt, zog der kleine,
feurige Mann, auf seinem Esel, in schmutzigem Mönchsgewand, durch die Länder
und predigte einen Kreuzzug. Der Pabst erklärte sich für den heiligen Kamps,
den einst im frommen Eifer schon der große Gregor VII. hatte unternehmen
wollen. Im Jahre 1095 hielt Urban II. zu Clermont im östlichen Frank¬
reich ein Concil, wo er selbst in begeisterter Rede die Christen zur Fahrt in's
heilige Land ausforderte. „Gott will es!" war der allgemeine Ruf, mit dem
die Anwesenden, woran viele edle Fürsten und Bischöfe Frankreichs, sich zur
Annahme des Kreuzes, das als Zeichen aus die Schulter geheftet ward, heran
drängten. Die Bewegung ergriff zuerst Frankreich; erfaßte dann die lotharingische
Ritterschaft; dann die Normannen in England und in Süditalien. An Deutsch¬
land ging sie, da Heinrich IV. mit der Kirche, und das Reich mit sich selber
zerfallen war, vorläufig noch fast wirkungslos vorüber. Schon 1096 wogte
eine wüste Masse aus allen Ländern, geführt von Peter von Amiens und einem
französischen Ritter, Walter ohne Land genannt, durch Deutschland nach dem
Morgenlande, das jedoch nur die Wenigsten erreichten. Spater kam das ge¬
ordnete Kreuzheer, meist aus Franzosen und Normannen bestehend, und geführt
von Gottfried von Bouillon, einem lotharingischen, mithin einem dem
deutschen Reich angehörigen Fürsten. Nach unendlichen Beschwerden ward am
15. Juli 1099 Jerusalem erobert; das Schwert der Christen wüthete gleich
furchtbar unter Sarazenen und Juden; dann lobte man den Herrn im Salo¬
monischen Tempel, und wählte Gottfried von Bouillon zum Könige, der es aber
in seinem frommen Sinn verschmähte, da die goldene Krone zu tragen, wo sein
Heiland die Dornenkrone getragen; erst sein Bruder Balduin nahm sie an, nach
Gottfrieds Tode (1100). Das neu eroberte Morgenland glich nun einer förm¬
lichen Colonie; es siedelte über, wer sein Glück zu machen hoffte; uud frommer
Sinn wie Lust zu Abenteuern zog manchen Fürsten und Ritter einzeln oder in
größerer Begleitung zu einer Fahrt ins heilige Land. Besonders aber beuteten
die italienischen Städte, Genua, Pisa, Venedig, die neue Handelsverbindung aus.
So entstand nun ein reger Verkehr zwischen dem reichen, kunstfertigen Morgen¬
lande und den: ihm noch weit nachstehenden Abendlande. Köstliche Gewebe, sei¬
dene Stoffe, seine Waffen, edle Gewürze u. dergl. bot der Orient; bald lernte
man sie im Abendlande kennen, und das 12. und 13. Jahrhundert bezog seine
glänzende, zum ritterlichen Leben gehörende Klciderpracht vor allen: aus diesen
Quellen. Bald wußte auch der christliche Ritter die Tapferkeit und Gastfreiheit,
manchmal, auch den Edelmuth des Sarazenen zu ehren; er lebte wohl, war er
flüchtig oder verbannt, am prächtigen Hofe eines muhamedanischen Fürsten: unv
so bildete sich das echt ritterliche Verhältniß gegenseitiger Achtung von Feind
gegen Feind — ja der stolze Christ begann zu prüfen, worin er dem Heiden
vor oder nachstand. Saladin, der 1187 wieder Jerusalem eroberte, erwarb
durch seine Milde, Freigiebigkeit und seinen Edelmuth selbst die Bewunderung
abendländischer Könige wie deutscher und französischer Minnesänger. — Beson¬