Full text: Die Geschichte der letzten 50 Jahre

6. Frankreich zur Zeit der sog. Restauration. 
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aus: er ernannte (8. Aug. 1829) ein neues Cabinet, an dessen 
Spitze der Fürst von Polignac stand. 
v. Das Ministerium Polignac (1829—1830) 
war ganz der Ausdruck jener ultra-royalistischen Richtung, welche 
seit der Wiederherstellung der Bourbonen unablässig darauf hingear¬ 
beitet hatte, die Dinge auf den Stand vor 1789 znrückznführen. 
Fürst Julius von Polignac selbst war eine äußerst unbedeutende 
Persönlichkeit, ohne alles selbständige Urtheil in politischen Dingen, 
ein blinder Eiferer für das System der Ultras, ein unbedingter Aus¬ 
führer des königlichen Willens, dabei mit einer außerordentlichen 
Meinung über seine staatsmännischen Fähigkeiten begabt, die ihn 
hinderte, fremdes Urtheil anzuerkennen, wenn es dem seinigen wider¬ 
sprach: daher eigensinnig und starrköpfig, welche Eigenschaften er 
aber, wie von solchen Naturen zu geschehen pflegt, mit Charakter¬ 
festigkeit verwechselte. Polignac erhielt das Ministerium des Aus¬ 
wärtigen; Labourdonnaye das Innere; Bourmont das Kriegswesen, 
obgleich den Franzosen besonders verhaßt, weil sie seinem Verrathe 
den Verlust der Schlacht bei Waterloo zuschrieben. Ein Schrei des 
Unwillens und der Entrüstung ging durch ganz Frankreich, fast durch 
alle Parteien hindurch. Selbst die entschiedenen Royalisten waren 
tief betrübt über diese Wahl des Königs. Die Presse begann sofort 
die lebhaftesten Angriffe auf das neue Cabinet; selbst die gemäßigten 
Journale stimmten in diesen Ton ein. Zugleich mit der Presse ent¬ 
faltete das Vereinswesen seine Wirksamkeit. Es bildeten sich keine 
geheimen Gesellschaften, sondern offene, gesetzliche, unter den Augen 
der Verwaltung. Von großer Bedeutung war hier die Gesellschaft: 
„Hilf Dir selbst, so wird Dir der Himmel helfen". Vor Allem 
dachte man an Steuerverweigerung; überall bildeten sich Steuerver- 
weigerungs-Vereine, welche zunächst den Zweck hatten, diejenigen, 
welche durch ihre Verweigerung zu Schaden gekommen, gemeinschaft¬ 
lich zu unterstützen. Und während auf diese Weise die Nation ent¬ 
schlossen schien, etwaigen Gewaltmaßregeln der Regierung den ent¬ 
schiedensten, nachhaltigsten Widerstand entgegen zu setzen, drückte sich 
die Stimmung des Landes eben so unzweideutig bei den Reisen La- 
fayette's im südlichen Frankreich aus. Lafayette, dieser Sohn der 
Revolution, dieser Vertheidiger der Volksfreiheit, der unter allen 
Wechselfällen des Geschickes sich treu geblieben, wurde auf seiner 
Reise allenthalben wie ein König empfangen: Triumphbogen wurden 
ihm errichtet, Bürgerkronen überreicht, ihm das Geleite gegeben, wie 
einem Herrscher. Alles dies galt natürlich nicht sowohl Lafayette, als 
vielmehr der politischen Richtung, die er vertrat, den Grundsätzen, 
welchen er huldigte. 
Am 2. März 1830 wurden die Kammern wieder eröffnet. Das 
Ministerium hatte vergebens versucht, die wichtigsten Männer der
	        
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