Object: Leitfaden zur Geschichte des deutschen Volkes

52 Volksepen. Dorf und Stadt. Innere und äußere Kolonisation. §§ 61. 62. 
Dichtung, der sogenannte Minnesang, in kunstvollem Lied; keiner 
hat es vollendeter getan, als Walter von der Vogelweide, dessen 
Gedichte zugleich von seiner Liebe zum deutschen Land und Volk ein schönes 
Zeugnis geben. Aber auch von Heldentum und Heldentaten sangen die 
ritterlichen Dichter. Äneas und Alexander, Roland und Ernst von 
Schwaben, besonders aber die Helden aus der Tafelrunde des Königs 
Artus fanden ihre Sänger. Damals schuf Wolfram von Eschenbach 
seinen Parzival, Hartmann von Aue seinen Zwein, Meister Gottfried 
sein glänzendes Lied von Tristan und Isolde. Und der Heldensang weckte 
die Freude und die Lust an der alten Heldensage (§ 12, 3), deren Er¬ 
innerung die Lieder der fahrenden Sänger immer im Volke wach gehalten 
hatten. Damals wurde das Nibelungenlied in seine jetzige Gestalt ge¬ 
bracht, damals die alten Sagen und Lieder der Nordseevölker zu dem 
Heldengedichte Gudrun zusammengefügt. 
§ 62. Dorf unb Stadt. Innere und äußere Kolonisation. 
1. Die freien Bauern der germanischen Urzeit waren zum größten 
Teil zinspflichtig geworden; doch war ihre Lage wie die der noch zahl¬ 
reichen unfreien Bauern, mit denen fte mehr und mehr verschmolzen, 
nicht schlecht. Wirtschaftlich gediehen sie, und Recht ward ihnen nach 
bestimmten Formen von ihren geistlichen oder weltlichen Herren ge¬ 
sprochen. Zu Kriegsdiensten wurden sie nur für den Fall der Landes¬ 
verteidigung herangezogen. Aber die Zeiten, wo der Ackerbau die einzige 
friedliche Beschäftigung der Deutschen war, wo es in Deutschland fast nur 
Dörfer gab, war vorüber. Allmählich gewöhnten sich die Deutschen auch 
an das Wohnen in Städten. Die alten Römerstädte im Rhein- und 
Donaugebiet, die in den Zeiten der Völkerwanderung schwer gelitten hatten, 
waren wieder erstarkt, und um Bischofssitze, um Klöster und Burgen waren 
neue Städte entstanden. Seit dem 11. und 12. Jahrhundert ging ein 
stetig wachsender Verkehr von Italien über die Alpen nach Deutschland, und 
Handel unb Gewerbe entwickelten sich immer kräftiger in ben Stabten. 
Die Gewerbetreibenden, ursprünglich meist Unfreie, schlossen sich nach 
ihren Beschäftigungen allmählich in Zünften zusammen, würben selb- 
siänbig unb gewannen mit ber Zeit gar Anteil an ber Regierung ber 
Stabte, bie vorbem ein Burggraf ober Vogt bes Lanbeeherrn, bald 
neben ihm ein Rat ber Patrizier (meist Kaufherren unb Großgrund- 
besitzer) geführt hatte. Schnell blühten bie Stabte auf, namentlich bie, 
bie an schiffbaren Strömen ober an ben großen Hanbelsstraßen lagen. 
Auch ber Kunstsinn begann sich zu regen. Wie früher bie Kirchen¬ 
fürsten (§ 43, 1), so wetteiferten jetzt die Städte miteinander in der Er¬ 
bauung prächtiger Dome. An die Stelle des romanischen Stils trat seit 
dem 13. Jahrhundert der gotische (ungenau auch als Spitzbogenstil 
bezeichnet) mit seinen kühnen, himmelwärts ragenden, reizvoll gezierten 
Bauten. Bewundernswert ist es, was die deutsche Baukunst damals, im
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.