Object: Lehrbuch der Geographie für die mittleren und oberen Klassen höherer Bildungsanstalten sowie zum Selbststudium

§. 12. Bewegungen des Meeres. 41 
Loffoden und wieder 12 Stunden später Archangel erreicht. Inseln 
werden von den Flnthen umschritten. So theilt sich z. B. die Flnth 
an der Südwestspitze Englands in einen Arm, der die Nordspitze von 
Schottland nmschreitet und so in die Nordsee eintritt, und in einen 
Arm, der durch den Canal gehend jenem begegnet. Der erste gebraucht 
12 Stunden, um bis nach Newcastle zu gelangen, der zweite erreicht 
in derselben Zeit die Rheinmündungen. An der Ostküste von England 
trifft stets eine von Norden kommende Ebbe mit einer von Süden 
kommenden Fluth zusammen und umgekehrt; daher ist dort die Tiden¬ 
bewegung kaum zu spüren. AehnUch löschen an der Bucht des La Plata 
von Nord und Süd sich entgegenkommende ungleiche Tiden sich ein¬ 
ander aus. Unter dem Ausdrucke Hafenzeit versteht man die Zeit, 
welche zwischen dem Meridiandurchgang des Mondes und dem Augen¬ 
blick des Hochmassers liegt. Linien, welche die Punkte gleicher Hafen¬ 
zeiten verbinden, heißen Jsorrhachien, cotidal lines. — Im offenen 
Weltmeer beträgt der Unterschied zwischen Ebbe und Fluth höchstens 
10 Fuß, in engen Canälen steigt aber die Fluth weit höher: im Canal 
von Bristol bis auf 60 Fuß; in der Fnndybai (N. Am.) soll bei 
Springflntben das Meer bis zu 100 Fuß ansteigen. In solchen Fällen 
kann die Tidenbewegung im Lauf der Zeit bedeutende Veränderung in 
der Konfiguration des Landes hervorbringen; so ist wahrscheinlich der 
Damm, der an der engsten Stelle des Canals einst England und 
Frankreich verband, durch die Arbeit und den Wasserdruck der hohen 
Flnthen, die noch jetzt bei St. Malo auf 50—60 Fuß steigen, zerstört 
worden. In Binnenmeeren tritt die Erscheinung nur in sehr geringem 
Maße ein: im Schwarzen Meere ist gar keine Tidenbewegung merklich, 
im Mittelländischen Meere beträgt die Flnthhöhe höchstens zwei Fuß 
(bei Venedig), in der Ostsee (bei Wismar) 2 Zoll. Auch in die Flüsse 
dringt die aufsteigende Fluth ein; die Schiffer benutzen sie, um ihr 
Schiff durch sie gegen die Strömung landeinwärts treiben zu lassen, 
und es pflegen die großen Handelsstädte an dem Punkte des Flusses zu 
liegen, bis zu welchem die Flnth kräftig genug ist, um Seeschiffe auf¬ 
wärts zu führen, wo sich also See- und Flußschiffahrt scheiden. An 
der Elbe erstreckt sich die Flnth 20 Meilen weit bis Lauenburg aus¬ 
wärts (Fluthhöhe bei Hamburg = 7 Fuß), an der Themse reicht sie 
bis oberhalb London. Je weiter wir am Flusse aufwärts gehen, desto 
kurzer wird die Dauer der Fluth gegen diejenige der Ebbe. 
Die dritte Bewegung des Meerwassers ist die der Strömunacn. 
Sic bestehen in einem andauernden Fließen des Wassers nach bestimmten 
Richtungen und sind theils Oberflächenströmungen, theils Strömungen 
in der Tiefe. Das Vorhandensein, die Schnelligkeit und Richtung der 
ersteren erkennt man durch Vergleichung der auf astronomischem Wege 
erhaltenen Position des Schiffes mit den Resultaten der Logrechnung, 
oder durch die sog. Flaschenreisen, oder durch die Beobachtung zufälliger 
oceanischer Treibproducte, z. B. des Treibholzes. Für die Beobachtung 
der Tiefströmungen sind eigene Instrumente erfunden. Die Kenntnis 
wenigstens der Oberflächenströmungen ist für den Seemann von größter
	        
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