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Jeder gerichtlich belangt werden könne, der ein Kind, ein Weib, einen Armen
oder einen Selaven beleidige. Solche Gesetze mußten ein Volk milder, und für
Künste und Wissenschaften zugänglicher machen, als die des Lykurg, und daher
finden wir auch bei den Athenern eine schönere Blüthe der geistigen Ausbildung
als bei irgend einem andern Volke des Alterthums.
Die Gesetze Solons sind zwar mehrere Jahrhunderte hindurch beobachtet,
aber doch auch bald nach seinem Tode theilweise abgeändert worden. Es zeigte
sich auch hier die Unvollkommenheit und Schwäche aller menschlichen Unter¬
nehmungen. Denn während Solon nach Vollendung seiner Gesetzgebung eine
zehnjährige Reise in's Ausland gemacht hatte, erhoben sich wieder die kaum durch
ihn etwas beruhigten Parteien, und erneuerten ihren Kampf mit der alten
Wuth. Zwar kam Solon eiligst wieder zurück, konnte aber doch nicht verhin¬
dern, daß sich der Klügste unter den Parteihäuptern, Peisi st ratos, ein schöner,
ansehnlicher und reicher Mann, (560) durch seine Freigebigkeit zum Liebling
des Volkes machte, und die Herrschaft (Tyrannis) an sich riß. Solon lebte
noch 2 Jahre, und unterstützte ihn durch seinen Rath. Zwar wurde er zweimal
von seinen Gegnern vertrieben, aber zuletzt wußte er sich doch (seit 540) als
Herrn von Athen zu behaupten. Er regierte mit großer Umsicht und Milde,
beförderte Wissenschaften und Künste, verschönerte Athen durch Bauwerke, und
würde die Athener glücklich gemacht haben, hätten sie die gewaltthätige Weise,
wie er sich zu ihrem Herrn aufgeworfen, vergessen können.
Solon gehörte zu den sogenannten siebeu Weisen. Das waren Männer,
die theils in Hellas, theils in Jonien auf der kleinasiatischen Küste, theils auf
den Inseln im ägäischen Meere lebten, sich mit Nachdenken über die Natur,
über die menschliche Seele, über Religion, weise Gesetze u. s. w. beschäftigten,
und, was das Nachdenken sie gelehrt, in lehrreiche Denksprüche abfaßten.
Als Peisistratos 5-8 starb, setzte sein ältester Sohn Hippias die Regie¬
rung fort, an welcher der jüngere, Hipparch, auch Antheil nahm. Sie
regierten im Geiste ihres Vaters, und besonders Hipparch war den Wissen¬
schaften hold; er ließ die Gedichte Homers öffentlich absingen, um sie dem
Volke bekannter zu machen, und bewog zwei berühmte Dichter: Si moni des
aus Keos und An akreon aus Teos (in Klein-Asien), Athen zum Wohnplatz
zu nehmen.
Der Herrschaft der Peisistratiden wurde ein schnelles und trauriges Ende
gemacht. Beide Brüder hatten einen athenischen Jüngling, Harm odios, tief
gekränkt. Dieser und sein Freund Aristogeiton beschlossen, jene Beiden bei
erster Gelegenheit niederzustoßen. Sie wählten dazu das Fest der Panathenäen,
bei denen Jeder bewaffnet erscheinen durfte. Als Hippias den Festzug ordnete,
näherten sie sich ihm mit Dolchen; aber da er sich gerade mit einem Andern der
Verschworenen besprach, glaubten sie ihr Vorhaben verrathen, wandten sich ab
vom Hippias, und suchten den Hipparch auf. Sie trafen ihn, und stachen ihn
nieder. Der verdienten Strafe des Mordes entgingen sie nicht; Harmodios
fiel gleich unter den Streichen der Wache; Aristogeiton wurde aufgefangen und
unter Martern hingerichtet. Hippias regierte noch 3 Jahre, aber mit blutiger
Strenge, indem er jeden Verdächtigen hinrichten ließ. Das unzufriedene Volk
sehnte sich nach Befreiung, und suchte Hülfe bei der mächtigen Familie der
Alkmäoniden, die früher vertrieben worden waren, und jetzt in Makedonien