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Möge mein Hermann doch auch an diesem Tage, Herr Pfarrer, 
Mit der Braut, entschlossen, vor Euch am Altare sich stellen 
Und das glückliche Fest, in allen den Landen begangen. 
Auch mir künftig erscheinen der häuslichen Freuden ein Jahrestag! 
Aber ungern seh' ich den Jüngling, der immer so thätig 
Mir in dem Hause sich regt, nach außen langsam und schüchtern. 
Wenig findet er Lust, sich unter Leuten zu zeigen; 
Ja, er vermeidet sogar der jungen Mädchen Gesellschaft 
Und den fröhlichen Tanz, den alle Jugend begehret." 210 
Also sprach er und horchte. Man hörte der stampfenden Pferde 
Fernes Getöse sich nah'n, man hörte den rollenden Wagen, 
Der mit gewaltiger Eile nun donnert' unter den Thorweg. 
Der Vorgang ist in die Zeit der französischen Revolution verlegt. Politische 
Ereignisse sind es, vor denen die Vertriebenen fliehen. Der Ort der Handlung ist 
in der Nähe des Rheins am rechten Ufer. Die Bevölkerung eines ruhigen Land¬ 
städtchens ist hinausgezogen, um den traurigen Zug der Vertriebenen zu sehen, trotz 
Staub und Mittagshitze. Der Wirt zum goldenen Löwen sitzt unter dem Thore 
seines Hauses am Marktplatz, wundert sich über solche Neugierde, lobt dagegen die 
werkthütige Milde seiner Frau, daß sie ihren Sohn Hermann mit Lebensmitteln 
und Kleidern zu den Unglücklichen hinausgeschickt habe, denn „Geben sei Sache der 
Reichen". Schon kehren einige von den neugierigen Städtern zurück. Wie allen die 
Schuhe staubig sind! Wie die Gesichter glühen! Jeder führt das Schnupftuch und 
trocknet sich den Schweiß ab; die beiden Alten freuen sich, daß sie ruhig zu Haus 
geblieben sind, und werden sich nun alles erzählen lassen. Da kommt auch schon der 
Prediger und der Nachbar Apotheker mit ihm; sie setzen sich auf die hölzernen Bänke 
unter den Thorweg, schütteln den Staub von den Füßen und fächeln sich mit den 
Tüchern Kühlung zu. Sie erzählen von dem Elend, das sie gesehen, von der Ver¬ 
wirrung des Zuges, und gerührt spricht der Wirt die Hoffnung aus, daß doch sein 
Sohn Hermann die Flüchtigen treffen und erquicken möge; aber er verweilt nicht 
gern bei so traurigen Bildern und ladet seine Gäste in das kühle Hinterzimmer ein, 
wo sie, unbelästigt von den Sommerfliegen, ein Glas dreiundachtziger Rheinwein 
trinken wollen. Dort, zum Wein behaglich plaudernd, kommt er auf seinen Sohn zu 
sprechen, den er bald verheiratet zu sehen wünscht. Das ist der ganze Inhalt des 
ersten Gesanges; und doch so unbedeutend der Stoff ist, die wundervolle Behand¬ 
lung giebt ihm Körper und Fülle; die Scene lebt vor uns; aus den Versen weht 
frische Landluft. 
Im zweiten Gesänge tritt Hermann zu dem Vater und seinen Freunden. 
Der scharfe Blick des Predigers entdeckt sofort, er fei als ein veränderter Mensch 
zurückgekommen; man sehe ihm den Segen der Armen an. Hermann erzählt, wie er 
seinen Auftrag erfüllt. Als er den Zug erreicht, sei ihm ein Wagen aufgefallen, mit 
Ochsen bespannt, auf dem eine eben entbundene Frau mit ihrem neugeborenen Kinde 
nackend im Arme gelegen habe; neben dem Wagen fei ein Mädchen gegangen, welches 
die Ochsen lenkte; gelassen sei sie an ihn herangetreten und habe für die arme 
Wöchnerin um etwas Leinen gebeten. Das habe er ihr gegeben und alles andere 
dazu, was er an Speise und Trank bei sich gehabt, in ihre Hände gelegt, da sie es 
am passendsten verteilen könne. Als Hermann geendigt, preist sich der Apotheker 
glücklich, daß er in so unruhigen Zeiten in seinem Hause allein lebe und nicht für 
Frau und Kind zu sorgen habe. 
„Hab' ich die Baarschaft gerettet und meinen Körper, so hab' ich 
Alles gerettet; der einzelne Mann entfliehet am leichtsten."
	        
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