fullscreen: Bilder aus den deutschen Alpen, dem Alpenvorlande und aus Oberbayern (Bd. 1)

90 Das Alpengebirge. 
Felsenwällen einen nicht zu brechenden Widerstand, mächtige Schichtenlager 
wölben zu weitgespannten Bogen und Knppen sich empor. 
Und dieses Drängen und Treiben, Zerstören des Bestehenden und Neu- 
schaffen gewaltiger Bauten aus den Trümmern der alten überlebten Welt zeigt 
sich um diese Zeit allüberall im weiten Alpenlande. Wohin wir blicken, treten 
beredte Zeugen für dieses Schassen übermütiger, kaum saßbarer Naturkräfte 
auf. Wir sehen die stolzen Bergeshäupter alle, aus welchen der herrliche Kranz 
unseres Aussichtsbildes sich zusammenschließt, vor unseren Augen sich erheben, 
zerspalten, zurücksinken, sich wieder hebeu uud gegenseitig verschieben. Wir sehen 
die Felseninsel selbst, von der wir diese Rückschau halten, dem gleichen Drncke 
weichen, fühlen das Riff, aus dem wir sußeu, in reger Bewegung erzittern; es 
beugt und knickt sich in sich selbst zusammen, und seine hochgeschwungene Zinne 
blickt erhaben hinaus über die weite Fläche, iu welche die Welleusaltungen der 
aus ihrer Lage gedrängten Gesteinsschichten, gleich Wogen der Uferbrandung 
in deu freien Meeresspiegel hinaus sich verlieren. — 
Die Ausbruchsmassen, Gneis, Granit, Porphyr, Syenit n. s. w>, füllten 
die Klüfte zum Theil wieder an und bildeten bei ihrem Erkalten ein halb kry- 
stallinisches, festes Gefüge. Die Kernstücke der Alpen bestehen ans solchen un¬ 
geheuren Felsentrümmern, welche durch die Gewalt des Feuers aus dem Schöße 
der Erde emporgehoben, dnrch die Macht der eindringenden Wasserfluten ans- 
gewaschen, von Neuem gehoben und zerstrümmert und dnrch chemische und phy- 
sikalische Einflüsse vielfach verwandelt und umgestaltet wurden. Die ans- 
gethürmten Riesenschollen stürzten an manchen Stellen wieder zusammen, um 
mächtige Thäler und Wasserbecken zu bildeu. Die vou den Gletschern herab- 
stürzenden Gewässer spülten die Berge ans und gruben allmählich tiefe Rinn¬ 
sale in die Felsenklüfte, bildeten romantische Thäler und Schluchten, rissen das 
verwitterte Gesteiu mit sich fort und füllten die tieferen Gegenden mit Trüm- 
mern au. Manche Wildbäche wurden dnrch Felsenmauern eingedämmt und 
bildeten die lieblichen Alpenseen. 
Durch das Emporsteigen der vorzugsweise aus Gneis, Glimmerschiefer 
und Porphyr bestehenden Centralkette wurden die älteren, hauptsächlich aus 
neptunischem Gestein, ans Kalkstein, Sandstein und Schiefer, gebildeten Schich¬ 
ten nach beiden Seiten auseinander geschoben und lagerten sich im Norden uud 
Süden als sogeuauute ,,Kalkalpen" der Centralkette vor. Sie sind weniger 
hoch als die letztere und schon in Form und Farbe von dieser zu unterscheiden. 
Den nördlichen und südlichen Fnß der Alpen umsäumen sogenannte 
tertiäre Ablagerungen, Molasse und Nagelflne, welche durch Kalkmergel zu¬ 
sammengekittet sind. 
Unberechenbare Zeitränme sind vergangen, bis der Ban des Alpengebirges 
vollendet war, aber auch diese scheinbar unvergänglich feststehende Felsenwelt 
ist noch dem Wechsel und Waudel unterworfen- Dieselben Kräfte und Gesetze, 
durch welche die Schöpfung ins Leben gerufen ward, wirken auch zu ihrer Er- 
Haltung und Weiterbildung fort; denn alles Geschaffene geht wieder in neuen, 
vollkommneren Bildungen auf, fortwährend erneuert die Schöpfung sich ans 
sich selbst. Ueberall in der Natnr giebt sich das Drängen nach dem Fortschritt,
	        
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