61
irrenden Bruder verfolgen kann. Diese unglückseligen Spaltungen, die ja
schon in frühern Jahrhunderten die Ausbreitung des Christenthums aufge¬
halten hatten, waren es nun auch jetzt, welche es den Jesuiten leichter mach¬
ten, in manchen Ländern den evangelischen Glauben zu unterdrücken. Daher
sagte auch Kaiser Ferdinand von den Evangelischen: „Da sie gar nicht
einig, noch einhellig sind, sondern vielmehr uneinig und getrennt, wie kann
da recht und gut sein, was sie glauben?" Unter den evangelischen Theologen
zeichnete sich als Zänker und Eiferer besonders der Professor Flacius in
Jena aus. Er war einst bei seinem Magister - Examen von Melanchthon
lächerlich gemacht worden, und hatte seitdem einen recht wüthenden Haß ge¬
gen diesen ehrwürdigen Mann und gegen die ganze Wittenberger Universität
gefaßt, die er als den Sitz der Ketzer ausschrie. Leipzig schloß sich an Wit¬
tenberg an. Mit Melanchthons Tode 1560 wurde die Streitsache noch
schlimmer; denn bisher hatten die streitsüchtigen Theologen der andern Uni¬
versitäten die Wittenberger Theologen aus Rücksicht aus Melanchthon noch
einigermaßen geschont; aber nun fiel jede Schonung weg, und sie erlaubten
sich die unanständigsten Verketzerungen. Um den kirchlichen Frieden herzu¬
stellen, wurde auf Betrieb des Herzogs (Christoph) von Würtemberg ein
Convent in Naumburg 1561 veranstaltet, wo die meisten evangelischen
Fürsten zusammen kamen. Auch erschienen ungeladen zwei päpstliche Nuncien,
welche die evangelischen Fürsten ermahnten, das tridentiner Concil zu be¬
schicken, um die Einigkeit des Glaubens wiederherzustellen. Zugleich über¬
gaben sie jedem derselben ein päpstliches Breve. Als nun die Fürsten diese
Schrift näher ansahen, fanden sie in der Aufschrift die halb versteckten Worte:
„Dem geliebten Sohne" u. s. w. Sie schickten daher den Nuncien die Schrei¬
ben unerbrochen zurück, da sie von keiner solchen Verwandtschaft mit dem
Papste etwas wüßten. Zwar entschuldigten die Nuncien den Ausdruck mit
dem von Alters her gewöhnlichen Kanzleistyl; aber jene blieben bei ihrem
Entschlüsse, und sie antworteten, daß sie das Concil nicht beschicken und an¬
erkennen könnten. Uebrigens verabredeten sie, sie wollten ihren Geistlichen
und Schullehrern anbefehlen, sich beim Unterrichte nur an die heilige Schrift
und die Augsburgische Confession zu halten, verboten aber zugleich alle theo¬
logischen Schmähschriften. Dagegen protestirten zwar Flacius und Consor-
ten, aber man achtete weiter nicht darauf.
Unter Ferdinands Regierung war das eine Zeitlang fast vernachlässigte
Concilium in Trient, welches die Mißbräuche in der katholischen Kirche
hatte abschaffen sollen, 1561 nochmals fortgesetzt und 1563 beendigt worden.
Die Kluft zwischen der katholischen und der protestantischen Kirche ist durch
das Concilium nur noch mehr erweitert worden, denn diejenigen Lehren der
katholischen Kirche, welche nicht auf den Aussprüchen der Bibel beruhen, sind
dadurch erst in eine bestimmte Form, in ein Ganzes gebracht, daran zu
glauben, allen Katholiken zur Pflicht gemacht, und jede abweichende Mei¬
nung mit einer Verdammung (Anathema) belegt worden. Hier mögen nur
einige der dort gemachten Verordnungen stehen, die noch jetzt allgemein in
der katholischen Kirche gelten: neben der Bibel gilt auch jede mündliche Tra¬
dition, welche sich in der Kirche erhalten hat, und die Stellen der Bibel
haben nur den Sinn, welchen ihnen die Kirchenväter gegeben haben (aber